Gut leben im Stau

I Gut leben im Stau

Über eine Situation, die man aus eigener Kraft nicht ändern kann, sagt man, man muss sie »akzeptieren und entspannt hinnehmen«. In den Selbsthilfegruppen der Anonymen Alkoholiker (ich war selbst nicht dort, aber etliche Freunde haben mir das berichtet) wird als Erstes erzählt, dass man sich nicht um Dinge sorgen soll, die man nicht beeinflussen oder kontrollieren kann, man soll ihnen mit Gelassenheit begegnen. Das gilt nicht nur für Alkoholiker, sondern auch für Autofahrer, die zu oft hupen, wenn es nicht weitergeht. Das gilt eigentlich für jeden, wir sind alle auf diese Binsenweisheit angewiesen, jeder Lebenslauf besteht mehrheitlich aus Situationen, die wir nicht beeinflussen können. Wir werden älter und können diesen Prozess nicht stoppen, ob mit oder ohne Hupe, wir werden schwächer und kränker, und wir werden nicht wirklich klüger. Trotz aller Erfahrungen und Lehren, die wir im Laufe des Lebens gesammelt haben, erwischt uns die Weisheit nicht. Egal wie blitzschnell sie uns hinterherfliegt, wir sind immer einen Tick schneller. In der langen Reihe der Situationen, die sich nicht ändern lassen, gehört der Autostau zu den am wenigsten unangenehmen.

Einerseits ist es ärgerlich und nervtötend, in einem zum Stillstand gekommenem Verkehrsfluss zu stecken, wie ein Fisch am Boden eines ausgetrockneten Meeres, deine Reise wird unterbrochen, deine Pläne werden durchkreuzt, du kommst zu spät und bist von nervigen Zeitgenossen umgeben, die falsche Hoffnungen hegen, wie die Irren sinnlos die Spur wechseln, mit ihren E-Zigaretten riesige Qualmwolken aus dem Fenster pusten und sich ärgern. Eine Menge auf der Straße stehende Fahrzeuge sind zudem auch kein ermunternder Anblick.

In der Regel kommt das Happy End plötzlich und unerwartet, das Gefangensein hat ein Ende, der Stau löst sich auf, es geht weiter und niemand versteht, was der Grund des Staus gewesen sein könnte.Einen Grund soll es eigentlich immer geben. Nichts passiert einfach zufällig auf der Erde, und vielleicht war der Sinn dieses Staus eine göttliche Vorsehung, damit der eine oder andere Autofahrer Zeit hat, sein Leben gründlich zu überdenken. »Gut leben im Stau«, dieses Motto hatte sich Michael, der Chefredakteur von ramp, für unseren aktuellsten SSST als unbefangen-­fröhlichen Ansatz ausgedacht. Schließlich, so Michael, verbringen wir laut den neuesten Studien nahezu 43 Stunden pro Jahr im Stau. Also jeder von uns. Warum also nicht auch mal gemeinsam. Er und ich. In Berlin. Hinter Düsseldorf und vor Stuttgart die starke Nummer zwei im derzeitigen Stauspitzenranking. Dann mit zwei idealen Autos natürlich. Oder mit zwei Autos, die sich in so einem Setting eher unvermutet plötzlich als ideal erweisen könnten. Und mal sehen, was dann so überhaupt passiert, meinte Michael vergnügt zur Einstimmung.

Ich bin zwar kein Mystiker und glaube bei einem Grund für den Stau sofort an einen kaputten LKW statt an göttliche Vorsehung, aber übers Leben im Stau lässt sich wunderbar philosophieren. »Verweile doch! Du bist so schön!«, das hätte Goethe im Stau schreiben können. Obwohl die Idee, dass man im Stau schreiben oder lesen kann, falsch ist. Dafür ist diese Situation nicht geeignet. Ich habe jedenfalls bis jetzt nur schlechte Erfahrungen mit dem Lesen im Stau gemacht. Einmal schenkte mir meine Tochter reinen Herzens das Buch »Megastarke Superwitze«, das sie vermutlich aus einer Papiermülltonne rausgefischt hatte. »Wenn Du mal im Stau stehst, kannst Du darüber lachen«, sagte sie. Das Buch hat mich zum Heulen gebracht, so etwas Dämliches habe ich in meinem ganzen bisherigen Leben nicht gelesen.

Aus dem Buch »Megastarke Superwitze«: Herr Niemand hat Herr Doof eine Delle ins Auto gefahren. Herr Doof ruft die Polizei an: »Niemand ist mir ins Auto gefahren.« – »Sagen Sie, Sind Sie doof?« fragte der Polizist. »Ja«, sagt Herr Doof, »aber woher ­kennen Sie meinen Namen?«

II Friends with Benefits

Wir wollen in diesem Heft darüber philosophieren, was uns Autos noch liefern, außer uns von A nach B zu bringen. Was sie für Eigenschaften haben über das eigentliche Autoversprechen hinaus. Okay, eine Sitzheizung, ein Radio und ein Navi gehören irgendwie zur Standardausstattung, aber auch sonst haben die modernen Autos einiges anzubieten. »Friends with Benefits«, Michaels großes Heftthema, das Auto als Freund, mit dem man viele Erlebnisse im Alltag und möglicherweise auch darüber hinaus vergnüglich teilt. Und wie es bei echten Freunden ist, halten sie zueinander in guten wie in schlechten Zeiten. Auch im Stau stehend kann dein Auto dein Freund sein. Unser Plan war also, mit zwei wirklich wunderschönen Autos, einer Mercedes S-Klasse und einem Toyota Land Cruiser, nach Berlin zu kommen und hier Staus zu suchen. Die Autos, jedes in seiner Welt unangreifbar perfekt und genial – zwei Auto-Ikonen, die in ihrer Klasse Maßstäbe setzen. Die S-Klasse, seit 50 Jahren das internationale Synonym für Automobile der Luxusklasse und die meistverkaufte Luxuslimousine der Welt. Höchster Fahr- und Wohlfühlkomfort, dazu innovative Technologien seit jeher serienmäßig ohne Ende. Und dann der Offroad-Klassiker, der Toyota Land Cruiser. Robust, zuverlässig und tauglich für jede Mission. Ein Auto für Abenteurer und Weltentdecker. Damit kommst du überall hin und durch. Und wie. Beste Beweglichkeit garantiert. Nichts bleibt unmöglich. Aber wie sieht es mit so einem ungewollten Herumstehen aus?

Tolles Konzept, dachte ich und nahm ein Schachspiel und ein Buch mit, mein eigenes Buch, nicht das Buch mit den blöden Witzen. Obwohl diese Witze eine erstaunliche Eigenschaft haben, einmal gelesen, bleiben sie einem für immer im Kopf stecken. Mit kleinem Gepäck fuhren wir von Prenzlauer Berg los, Richtung Zentrum. In Berlin muss man nicht lange nach Staus suchen. Die ganze Stadt ist ein einziger Verkehrsinfarkt, so hatten wir uns das vorgestellt. Aber wie man so schön sagt, der Mensch denkt und Gott lenkt. Wir hatten uns geirrt. Am Tag unserer Anreise gab es in Berlin nirgendwo einen Stau. Unsere schönen Autos kamen an einem Wochenende in die Stadt, die Schulferien hatten gerade begonnen, die Stadt wirkte so unnatürlich leer, als hätte ein Öko-Zauberer alle Umweltverschmutzer aus Berlin entfernt, es waren keine Autos und keine Fußgänger zu sehen, überhaupt kaum Menschen, nur Spatzen und Tauben sah man noch hier und da. Noch nie hatten wir Berlin so verkehrsbefreit und ruhig erlebt. Wir sind einen ganzen Tag in unseren Autos durch die Stadt gefahren und haben Staus gejagt, die es nicht gab. Es war eine blöde Situation, die wir nicht ändern konnten, also sind wir dem Rat für im Stau stehende Verkehrs­teilnehmer gefolgt, der auch ohne Stau funktioniert: »Genießen Sie Ihr Leben, konzentrieren Sie sich auf das, was Sie jetzt tun können, um Ihr Wohlbefinden zu verbessern, und lassen Sie sich nicht von Sorgen beherrschen.

«Aber was heißt hier »genießen«? Klar muss man die Dinge trennen, einmal die, die in unserer Macht sind, und zum anderen die, die nicht unserer Kontrolle unterliegen. Aber es bleiben offene Fragen. Wir wollen doch, ( ...) 

→ Die ganze Geschichte lesen Sie in der
neuen ramp #67 »Friends with Benefits«.