Christian schaut mich an von oben bis unten. »Suppen-Kaspar, Tag vier«, sagt er. (Am fünften Tag war der Suppen-Kaspar aus dem »Struwwelpeter« bekanntlich tot. Abgemagert zum Strichmännchen. Sage einer, die Müllaufleger wären nicht belesen.) Ich wehre mich gegen die Kränkung. Regelmäßig würde ich Kraftsport machen, unter freiem Himmel beim Donaukanal, aneinem eigens dafür errichteten Stahlgerüst – sogenannte Calisthenics-Übungen, das Wort komme aus dem Griechischen: Kallos für »schön«, Sthenos für »Stärke«. Ich spanne den Oberkörper an: »Schaut’s her, meine Brustmuskulatur ist gar nicht schlecht.« Sie lachen sich kaputt, Andi sagt: »Er nennt es Muskulatur. Er meint es ernst.«
Andi fragt mich, wie viele Liegestütze ich schaffen würde. Als er angefangen habe bei der Müllabfuhr, 29 Jahre sei das her, musste er beim Gesundheitscheck auf den Fahrradergometer – und dann eben Liegestütze vorführen. Mein Rekord, antworte ich, liege bei fünfzig. Schallendes Gelächter, keiner glaubt das. »Zeig her!«, fordert Christian mich auf. Ich gehe in Position. Hände auf den Boden, schulterbreit voneinander entfernt. Kopf in einer Linie mit dem Körper. Gespannte Ruhe. Ich drücke mich ganz locker zwanzig Mal hoch. Dreißig Mal (würde jetzt gern ihre Gesichter sehen). Vierzig Mal. Ich höre ein »Hey!«. Dann wird’s zäh. Als hätte ich einen Rucksack voller Steine auf dem Rücken. Nach der sechsundvierzigsten Wiederholung breche ich keuchend mit hochrotem Schädel ein und liege in meiner blau-weiß karierten Boxershorts da wie ein aus dem Hinterhalt Erschossener. »Heast, super!« Sie haben mich akzeptiert. Auf den Fahrradergometer und Liegestütze vorführen müssen die angehenden Müllaufleger übrigens auch heute noch. Lungenfunktionstest und Körperzusammensetzungsmessung sind ebenfalls obligatorisch. Stellt sich heraus, dass der Fettanteil zu hoch ist, raten sie dir zu einem anderen Job – warum nicht Fleischhauer?