Herr Villhauer, wer sind Sie?
Ich bin mindestens zweierlei. Mich fasziniert Wirtschaft, speziell die Finanzwirtschaft, und wirtschaftende Menschen ungeheuer. Und ich bin jemand, der Dinge begreifen und nachvollziehen will. Insofern ist es kein Zufall, dass ich zwei Ausbildungen habe: Ich bin Industriekaufmann mit Unternehmenserfahrung und promovierter Philosoph.
Was treibt Sie an?
Ich bin ein enorm neugieriger Mensch. Jemand, der wirklich wissen möchte, was hinter den Dingen und Vorgängen steckt und wie all das zusammenhängt. Und diese enorme Neugier bezieht sich auf Menschen ebenso wie auf die Welt.
Sie sind Geschäftsführer des Weltethos-Instituts. Was muss man sich unter dieser Institution vorstellen?
Das Weltethos-Institut der Universität Tübingen bringt die Welt der Wirtschaft mit der Welt der Philosophie und der Ethik zusammen. Wir sind vor zehn Jahren aus einem Impuls von Hans Küng heraus gegründet worden. Das war ein Schweizer Theologe, der sich mit dem beschäftigte, was Religionen verbindet, was ihnen gemeinsam ist. Zum Beispiel die goldene Regel »Was Du nicht willst, das man Dir tu, das füg’ auch keinem anderen zu«. Die gibt’s im Islam, im Christentum, im Buddhismus – eigentlich die Grundlage einer Weltgemeinschaft. Wir beschäftigen uns nun mit Unternehmens- und Wirtschaftsethik auf dieser global-ethischen Grundlage. Wir konzentrieren uns also auf das Verbindende und nicht auf das Trennende. Gerade in der jetzigen Weltlage – mit dem Ukraine-Krieg und überhaupt vielen Kriegen weltweit, den harten Kulturkämpfen, die wir auch in Deutschland erleben, aber noch stärker in den USA –, gerade in solchen Zeiten finde ich es wichtig zu fragen: Wo sind belastbare Brücken, wo finden wir die Möglichkeiten, miteinander ins Gespräch zu kommen und uns auszutauschen? Das zu suchen, das ist die Grundhaltung des Weltethos-Instituts.
Wie kommt jetzt die Wirtschaft ins Spiel?
Die Wirtschaft kommt deshalb ins Spiel, weil Menschen eben wirtschaften. Immer und überall. Ohne Wirtschaft kein Überleben, ohne Wirtschaft kein Auskommen, ohne Wirtschaft keine Ernährung. Wirtschaft ist ein wesentlicher Teil unserer Lebensorganisation. Und wenn wir keine Antworten auf die Fragen haben, wo die Kooperationsmöglichkeiten und die Gemeinsamkeiten im Wirtschaftsbereich sind, können wir es gleich sein lassen. Ein Aspekt ist, dass wir uns fragen müssen, ob diese Aktivitäten ethische Seiten haben. Der andere Aspekt ist, dass wir von der Wirtschaftspraxis richtig viel lernen können. Wirtschaft, das ist »Dirty Work«, das sind Widerstände, das sind komische Dinge, Merkwürdigkeiten, auch die anstrengenden Sachen. Ethik muss sich aber die Hände schmutzig machen, sonst ist sie keine Ethik. Also ich zum Beispiel beschäftige mich mit finanzethischen Fragen. Ich lerne viel darüber, wie Menschen innerhalb der Notwendigkeiten der Finanzbranche gut handeln oder gut entscheiden können. Dass ich Rendite machen muss, dass ich profitabel anlegen muss, dass ich zum Beispiel in der Lage bin, Risiken einschätzen zu können – und das mit meinen ethischen Erfahrungen zusammenzubringen. Das heißt, die Wirtschaft lernt von der Ethik, aber die Ethik lernt auch von der Wirtschaft.