Lars Kern: Über das Einfühlungsvermögen und den Grenzbereich

Wenn man sich mit einem Entwicklungsingenieur und Testfahrer von Porsche trifft, erwartet man eigentlich nicht, dass der als Erstes erklärt, er würde ein neues Auto weich angehen. Genau das tut Lars Kern aber. Er nimmt sich zurück. Und er kann sehr präzise erklären, warum er so vorgeht.
  • Text
    Michael Köckritz
  • Fotos
    Matthias Mederer · ramp.pictures
Herr Kern, wie wird man Entwicklungsingenieur und Testfahrer bei Porsche?

Das war in der Form so nie geplant, sondern hat sich ergeben, weil viele fanden, dass ich relativ gut beschreiben kann, wie ein Auto meiner Ansicht nach fahren sollte. Dazu decken sich meine Wahrnehmung und Einschätzung relativ stark mit dem Querschnitt der Kundschaft und der Presse.

Wie nähern Sie sich einem Auto?

Ich fahre ja alle verschiedenen Porsche – von historischen Rennautos, vom Macan mit Vierzylinder-Motor bis hin zu einem 918 Spyder. Jedes Auto hat einen anderen Charakter und ein anderes Ziel. Insofern geht es nicht darum, seinen Fahrstil und seine Einstellungen auf das Auto zu projizieren, sondern erst mal zu gucken, was das Auto macht und was es möchte. Ich glaube, dass ich das Auto relativ weich anfasse, um eine Rückmeldung zu erhalten. Das gilt insbesondere für die Lenkung – ich sage oft zu Leuten: »Presst das Wasser nicht aus dem Lenkrad. Fasst es weich an, dann kommuniziert das Auto auch besser mit euch.«

So erhält man Antworten auf die Fragen, wo sich der Grenzbereich befindet und wie man ihn erfahren kann. Dieses Grundgefühl ist bei mir daraus entstanden, dass ich eben nicht mit drei Jahren im Gokart saß und meinen eigenen Fahrstil entwickelte. Wenn ich in ein neues Auto einsteige, brauche auch ich mit Sicherheit eine längere Zeit, bis ich schnell bin. Was daran liegt, dass ich mich mit dem Auto arrangieren muss, ich muss mich einfühlen. Wohingegen sich viele andere professionelle Fahrer in ein Auto setzen und ihren Stiefel fahren. Ich habe aber keinen Stiefel, wenn man so will.

»Ich sage oft zu Leuten: »Presst das Wasser nicht aus dem Lenkrad. Fasst es weich an, dann kommuniziert das Auto auch besser mit euch.«
Lars Kern
Könnte man sagen, dass Sie versuchen, die Persönlichkeit eines Autos zu erspüren?

So könnte man es formulieren. Die meisten Straßenautos sind für harte Eingaben in Bezug auf digitales Lenken oder digitales Beschleunigen und Bremsen nicht ausgelegt. Das funktioniert bei einem Rennauto, bei einem Straßenauto jedoch nicht. Straßenautos von uns sind ein Kompromiss, eine Spreizung zwischen Sportlichkeit und Alltagstauglichkeit. Klar könnte man jedes Auto von uns hart in Richtung Sportlichkeit trimmen. Aber das wäre meiner Ansicht nach nicht der Sinn der Sache und auch nicht im Sinne von Porsche.

Gibt es eine Checkliste, die Sie abarbeiten, oder ist der Vorgang intuitiv?

Was beispielsweise die Sitzposition angeht, schaut man natürlich erst, wie die Schulterlinie ist. Ich möchte immer im Auto sitzen, nicht auf dem Auto, das heißt, die Sitzposition muss mich ins Auto integrieren. Aber da sind wir bei Porsche so aufgestellt, dass das eh nie ein Thema ist. Da findet man immer eine Position, die passt. Beim Fahren ist es so, dass ich jemand bin, der extrem viel Vertrauen gewinnt, wenn das Auto Stabilität vermittelt, speziell am Kurveneingang. Das ist für mich elementar, um schnell zu fahren. Da gibt es im Gegensatz zu ausgewiesenen Profipiloten eine Diskrepanz. Für die ist es »nice to have«, ich brauche es.

»Die meisten Straßenautos sind für harte Eingaben in Bezug auf digitales Lenken oder digitales Beschleunigen und Bremsen nicht ausgelegt. Das funktioniert bei einem Rennauto, bei einem Straßenauto jedoch nicht.«
Lars Kern
Verspricht ein Porsche ein markentypisches Fahrgefühl?

Es ist natürlich schwierig, das über alle Baureihen zu ziehen, aber wir bemühen uns schon um eine Fahrbarkeitskonstante. Das heißt, wir versuchen, dem Auto am Kurveneingang tendenziell ein sehr sicheres Verhalten mit auf den Weg zu geben, speziell im Spurwechselverhalten. Von der sicheren Seite aus nähern wir uns dann maximal der sportlichen Seite an, um das Auto lebendig zu halten.

Nun fahren Sie auch alte Autos, da ist das Gefühl ja ein anderes als bei einem Neuwagen.

Alte Autos sind ehrlicher, einfach weil sie weniger Systeme haben. Sie sind allerdings genau deswegen auch langsamer. Für mich ist die Mischung, also das Beste aus der Moderne und das Beste aus der Vergangenheit, das, wonach wir streben sollten und was wir uns auch immer wieder anschauen. Darum haben wir auch einen Carrera GT oder einen GT3 immer noch in Weissach stehen und sagen ab und zu, wenn es um irgendwelche spezifischen Themen geht: »Komm, lass uns das mal an einem älteren Auto anschauen.« Natürlich ist es für mich in erster Linie auch einfach schön, solche Autos zu fahren, besonders auch alte Rennautos.

Was bedeutet der Carrera GT für Sie?

Das war früher mein Poster-Auto, der heilige Gral. Ist er übrigens bis heute, weil es kein besseres Auto auf der Welt gibt.

Und was macht das Auto so wunderbar?

Ein Riesenthema ist sicherlich die Soundkulisse. Dazu finde ich es einfach wunderschön. Da stimmt einfach alles, jede Ecke und Kante. Und ohne von Design eine Ahnung zu haben: Er ist sehr aggressiv, aber nicht aufdringlich von der Linienführung. Ich muss auch ehrlich zugeben, dass ich das Auto heute nicht am Limit gefahren bin, sondern es einfach genossen habe. Das hat auch etwas mit Respekt zu tun, außerdem waren die Reifen noch im Auslieferungszustand. Also dachte ich mir, ich lass es mal ein bisschen ruhiger angehen.

Haben Sie gerade noch ein anderes Lieblingsauto?

Der 981 Boxster Spyder. Für die Rennstrecke gibt es sicherlich bessere Autos, aber der Boxster Spyder, der alte, 385 PS, Handschalter, Sechs-Gang, ist ein superleichtes Auto mit Straßenreifen und Straßenfahrwerk, also nicht besonders hart. Und er hat so ein schönes, vorhersehbares Fahrverhalten. Man kann mit dem Auto einfach spielen.

»Ich darf das eigentlich nicht laut sagen, aber ich bin jemand, der immer alles ausschaltet – natürlich bis auf die Sicherheitsfeatures.«
Lars Kern

Sie sprechen viel über Gefühl – geht mit den ganzen Assistenzsystemen nicht viel von dem Kontakt zum Auto verloren?

Definitiv. Ich darf das eigentlich nicht laut sagen, aber ich bin jemand, der immer alles ausschaltet – natürlich bis auf die Sicherheitsfeatures. Aber ich bin jemand, der sich gerne aufs Fahren konzentriert, deswegen brauche ich niemanden, der mir die Linie vorgibt oder mir ins Lenkrad greift.

Ich verstehe das schon, wenn man das Fahrzeug nur als Transportmittel nutzt, um von A nach B zu kommen. Aber wenn ich ein Auto fahre, möchte ich involviert sein. Features wie die Chassis Control helfen natürlich, den Durchschnittskunden näher ans Limit zu bringen. Aber manchmal denke ich, es wäre besser, wir würden zu jedem Fahrzeug ein Fahrsicherheitstraining mit anbieten, anstatt immer mehr Systeme in die Autos zu bauen. Aber wie gesagt: Die Systeme helfen, die Autos schneller zu machen.

Leistung zählt für Sie nicht?

Leistung kann man nie genug haben, aber die Mischung macht es. Der Boxster mit 385 PS ist für mich völlig ausreichend für die Straße. Für mich ist weniger mehr. Weniger Grip, weniger Leistung, weniger Gewicht. Mir wurde mal bei den Track Days angeboten, eine Lotus Elise Gen 1 zu fahren, und ich dachte: »Oh Gott, kein Dach und nichts, das muss ja furchtbar sein.« Aber ich hatte an dem Tag mit keinem Auto mehr Spaß als mit dem Lotus

»Manchmal denke ich, es wäre besser, wir würden zu jedem Fahrzeug ein Fahrsicherheitstraining mit anbieten, anstatt immer mehr Systeme in die Autos zu bauen.«
Weil es ehrlich war?

Extrem ehrlich. Ich glaube, der hatte nicht mal ABS, aber das war völlig irrelevant, weil das Auto so transparent war. Diese Transparenz ist im Zuge der Elektromobilität übrigens zunehmend schwierig umzusetzen. Viele Leute wollen (…)

→ Was alte Autos mit Ehrlichkeit zu tun haben, warum Kern überlaute Autos in Innenstädten nicht mag - und was er jedem Autofahrer rät? Lesen Sie in Michael Köckritz' Exklusiv-Interview in der rampstyle #26.

Michael Köckritz

Michael Köckritz

Chefredakteur
Als Journalist, Autor, Künstler und Medienmacher gelingt es Michael Köckritz immer wieder, mit gut gelaunter Leichtigkeit ebenso aufmerksamkeitsstarke wie nachhaltig anregende Impulse zu setzen – im Kontext von Zeit- und Zukunftsthemen ebenso wie in Lifestyle- und Luxuswelten. Als Herausgeber und Chefredakteur realisierte er gleich eine ganze Reihe von frisch gedachten Buchprojekten und Lifestyle-Magazinformaten, die seit Jahren regelmäßig mit zahlreichen nationalen und internationalen Preisen ausgezeichnet werden. Das Autokulturmagazin ramp, das Männerlifestyle-Magazin rampstyle und das Designmagazin ramp.design erscheinen international und gelten als stilbildend.
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Zwei schmale Ovale oben in einem Kreis, darunter ein geschwungener Bogen, auf sonnigem Gelb skizziert. In Sekundenbruchteilen hat unser Gehirn die Elemente zu einem lächelnden Gesicht kombiniert, auf Anhieb haben wir gute Laune.

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