Lancia Stratos: Bertone und der Keil und die ganze Stratos-Fantasie

Vor über fünfzig Jahren machte der Lancia Stratos die Rallyewelt schneller, schöner und stolzer. Sie hat sich nie wieder davon erholt.
  • Text
    Herbert Völker
  • Fotos
    Amy Shore

Eines Tages, lange nach der Steinzeit, begann man wieder Keile zu lieben, ohne Höcker, ohne Stufe, ohne Griff für die Faust. Was Autos betrifft gern mit Scherentüren, wenn denn schon Türen sein mussten. Bertone war das radikalste Studio und Marcello Gandini der führende Interpret des Keils. Die Keilzeit würde für gut zehn Jahre die Autowelt verrückt machen, der Beginn lässt sich am besten mit dem Showcar Carabo von Bertone markieren: 1968. Fantastisch irreal. Und irgendwie so Fantasy-mäßig perfekt, dass man die Irrlichter wieder einfangen und im Grunde genommen schon wieder Schluss hätte machen können. Stattdessen kamen noch viele wunderbare Keile, und wohlhabende Menschen machten sich zu Idioten, wenn sie wie Reptilien in enge Schlünde krochen, um ein neues Habitat zu bewohnen, das am bislang entferntesten von Gottlieb Daimlers Idee vom Automobil lag.

Einer der frühen Urkeile bekam den vorläufigen Namen Stratos und wurde als Showcar von Bertone 1970 am Turiner Salon gezeigt. Die Besucher waren ratlos, amüsiert und freudig erregt. Der neue Keil war an seiner besten Stelle 86 Zentimeter hoch, dagegen war der Carabo noch ein Bus. Theoretisch konnte man sich immerhin hineinlegen, falls es die Einheit von Tür, Dach und Frontscheibe erlaubte. Durch Hochklappen der riesigen Scheibe wurde das Cockpit freigelegt. Jede Art von Armaturenbrett wäre hinderlich gewesen. Die wenigen Schalter und Hebel waren in jenen Teil eingelassen, den man anderswo Türschweller nennen würde, und im Steher davor, also noch immer seitlich, warnte eine Mattscheibe vor einer digitalen Zukunft, die noch nicht begonnen hatte.

Einer der frühen Urkeile bekam den vorläufigen Namen Stratos und wurde als Showcar von Bertone 1970 am Turiner Salon gezeigt. Die Besucher waren ratlos, amüsiert und freudig erregt.

Bertone machte grundsätzlich keine potemkinschen Karossen, sondern ließ jedes Schaustück bis zur Bewegungsfähigkeit ausbauen: Es musste funktionieren. Die dafür nötige Mechanik wurde der Lancia Fulvia entnommen, und damit war eben gleich Lancia mit im Boot. Auch die kleine Maschine der Fulvia ließ sich unterbringen, allerdings als Mittelmotor. Damit war auch eine gewisse Ernsthaftigkeit gegeben, und aus der puren Schönheit des Keils wurde ein funktionierendes Sportgerät. In den diversen Schnittzeichnungen von Bertone saß (eigentlich: lag) als Referenzfigur immer ein Sturzhelmträger drin, nie ein legerer Zivilist.

Lancia und Bertone fanden schon Anfang 1971 zusammen, um einen echten Menschen hineinzusetzen, zum Beispiel einen wie Sandro Munari aus dem Rallye-Team von Lancia. Dessen Chef war Cesare Fiorio, beide sollten sich zu wunderbaren Paradiesvögeln entwickeln

Heute ist der Wagen ein Juwel der klassischen Rallyeszene, er glänzt wieder in den Alitalia-Farben des Safari-Tests von 1975, hat den 320-PS-Vierventilmotor und geht daher ab wie die Sau.

Gerne gestehen wir unsere zärtliche Liebe zu diesen Zeitläufen, also 1970 und weiter, besonders in Verbindung mit dem italienischen Wesen und sagenhafter Design- und Handwerkskunst im goldenen Dreieck Turin-Mailand-Bologna. Alles war offen für Überraschungen und dafür, wie sich die jungen Blüten entfalten würden. Was die italienische Herrscherfamilie Agnelli betraf, so hatte Fiat 1969 die Firma Lancia geschluckt, samt ihres Jahrhundert-Zaubers und der erstaunlichen Schulden, die sich in Lire sowieso nicht mehr ausdrücken ließen, insofern waren sie auch nicht so beunruhigend.

Niemand, absolut niemand konnte sich vorstellen, mit welcher Coolness der Große den Kleinen eines Tages verhungern lassen würde, bis Lancia nur noch eine Souvenir-Anstecknadel sein würde, die man an Jubiläumstagen der Konzerngruppe tragen würde.

Vorerst allerdings zeigte Fiat Kraft, um Lancia nicht nur existieren, sondern auch glänzen zu lassen. Im Fortschreiben der Markengeschichte schien ja keine Steigerung möglich zu sein, seit dem Tag, an dem Brigitte Bardot aus einer Aurelia B24 geschlüpft war. Also ließ man nun die sportliche Schiene zu, die sich mit der Fulvia HF ergeben hatte. Hier kamen Zeit und Ort zusammen, Bertone und der Keil und die ganze Stratos-Fantasie, alles in der Hochblüte der italienischen Klassik, was Designer, Motorenbauer und freischwebende Genies betraf.

Der Stratos wurde des Show-Klimbims entkleidet und auf das Vorstellungsvermögen von Normalmenschen reduziert, immer aber mit Fokus auf Rallyes und Rennen. Der Wagen wurde nicht praktischer, damit auch höher, kürzer, klobiger, die Harmonie des Ur-Keils wurde durch aufgepfropfte Kotflügel gestört.

Die Übersetzung von Schönheit auf Funktionalität: gedrungen, kraftvoll, bösartig vielleicht, mehr bären- als katzenhaft. Bären haben einen kurzen Radstand. Und entscheidend war nun natürlich der 2,4-Liter-Sechszylinder von Ferrari, den der alte Herr persönlich herausrückte, keine leichte Sache.

→ Die gesamte Geschichte rund um den Stratos und dieses spezielle Exemplar mit der Chassisnummer »1637« lesen Sie in der ramp #54.


Herbert Völker

Herbert Völker

Freier Autor
Für Rallyefans sind die Bücher von Herbert Völker auch 40 Jahre nach Erscheinen noch Heiligtümer. Seine Geschichten aus dem Grenzbereich waren, auch aufgrund seiner Sprachfreude, das Maß aller Dinge. Dass er sich Ende der 80er Jahre anderen Themen der motorisierten Welt zuwandte, ist zwar schade für alle Rallye-Enthusiasten, aber so wurde der langjährige Herausgeber der „Autorevue“ endgültig zur Ikone des deutschsprachigen Motorjournalismus. Nur logisch, dass er und ramp da über kurz oder lang zusammenfanden.
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