Corvette Stingray: Abhängigkeitserklärung

Die große Freiheit? Genießt man nicht in vollen Zügen. Sondern im amerikanischen Sportwagentraum schlechthin: der Corvette Stingray. Ein hochfrequenter Roadtrip zum Unabhängigkeitstag. Einfach nur... perfekt!
  • Text
    Helmut Werb
  • Fotos
    Richard Thompson

Der Letzte seiner Art. Ein unterbewerteter Dinosaurier, ausgestattet mit riesigen V8-Motoren von mehr als sechs Litern Hubraum. Chevrolets Corvette ist in der Tat ein kraftstrotzendes Fossil aus dem Zeitalter der Muscle Cars, ein anachronistisches Aufbäumen kurz vor dem Aussterben der Spezies. Die Corvette wird ja bisweilen als protziges Kiez-Mobil gescholten und dient amerikanischen Männern in der Midlife-Crisis als Fluchtfahrzeug vor der Ehefrau, gerne die 20-jährige Sekretärin auf dem Beifahrersitz. Diesen Ruf verdiente sich das Auto spätestens 1963 mit seiner zweiten Generation, als aus dem kompakten Roadster ein echter Sportwagen wurde, der nicht nur auf der Geraden schnell war … okay, die Kurven durften nicht allzu schnell genommen werden. Sein Name: „Sting Ray“ – seinerzeit noch in zwei Worten geschrieben, erst 1968 wurde ein Wort daraus.

Der Sting Ray basierte im Gegensatz zu seinem Vorgänger tatsächlich auf einem GM-Rennwagen, dem Chevrolet Engineering Research Vehicle, kurz CERV 1. Was seinem Image nicht unbedingt auf die Beine half. Wirklich schlimm wurde es vergangenen November, als das britische Massenblatt The Mail verkündete, dass die hochbezahlten Fußballer von Manchester United die fünfzehn von General Motors gratis zur Verfügung gestellten Corvettes nicht einmal anrühren wollten. Das war dann aber wirklich unfair. Das hat die Corvette von heute nicht verdient. Zugegeben, der voluminöse V8-Motor – der schon fast ironisch Small-Block genannt wird und seit 1955 als Standardmotorisierung der Corvette dient – wird über eine einzige, zentrale Nockenwelle und Ventilstößel gesteuert.

Und er sitzt noch vorne, wie es sich für Supersportwagenn einmal gehörte. Die angetriebenen Hinterräder kämpfen trotz moderner Elektronik oft mit kohäsivem Vorwärtsdrang, bei dem sich der Gummi der riesigen Walzen buchstäblich in Rauch auflöst – was zugegebenermaßen von einer Mehrzahl der Corvette Fahrer erwünscht ist. Die elektronische Differenzialsperre aber erlaubt heute extrem schnelle Kurvenfahrt, obwohl die Hinterradaufhängung immer noch auf dem Prinzip der Blattfeder basiert, egal ob nun der GM-Prospekt sowas elegant "transverse-mounted, composite springs" nennt oder nicht. Dafür bringt die moderne Aerodynamik der Alu-Karosserie fast 160 Kilo Anpressdruck auf die Achsen.

Die angetriebenen Hinterräder kämpfen trotz moderner Elektronik oft mit kohäsivem Vorwärtsdrang, bei dem sich der Gummi der riesigen Walzen buchstäblich in Rauch auflöst – was zugegebenermaßen von einer Mehrzahl der Corvette Fahrer erwünscht ist.

So gesehen ist das Fahrzeug auch eine naheliegende Wahl, wenn es nach der Partynacht in Las Vegas zum gepflegten Chill-out mit Sonnenaufgang zum ausgetrockneten Salzsee von El Mirage geht. Das Basismodell, der Stingray, bringt in der neuesten Version rund 460 PS auf die Straße, beschleunigt von null auf sechzig Meilen (96,6 km/h) in weniger als vier Sekunden und prügelt seine Kraft mit maximal 630 Newtonmetern auf den Asphalt. Und das zu einem Preis, für den man in Ohio und Texas gerade mal einen moderat ausgestatten BMW 5er bekommt. Solche Kampfpreise sind Tradition, der erste Stachelrochen kostete 1963 etwas mehr als 4.000 US-Dollar. Heute erzielt solch ein ”Split Window” gut und gerne Preise von weit über einer Viertelmillion.

Zurück ins Heute. Der große Bruder der Stingray, die Z06 Corvette, geht mit ihren 650 PS, 880 Nm Drehmoment und trotz Blattfedern grandiosem Fahrverhalten locker als Ferrari-Killer durch. Lediglich das Interieur mag mit dem Lambos, Astons und Ferraris nicht mithalten können, die Schaltwippen aus Plastik fühlen sich einfach nur billig an – aber das Motorengeräusch macht das wieder gut, selbst in der milderen Version des Stingray. Auf dem Highway 2 durch die San Gabriel Mountains bei Los Angeles lassen die Damen ihren Puls Kurve für Kurve nach oben schnellen. Spaß, Spaß und nochmals Spaß steht auf dem Programm, auch mit Plateau-Schuhen. Oder gerade dann.

Helmut Werb

Helmut Werb

Freier Autor & Fotograf
Er sei schon immer ein Geschichtenerzähler gewesen, sagt Helmut Werb über sich selbst. Dabei ist es egal, ob er die Kamera in der Hand hat oder seine Storys in Textform fasst. Letztere drehen sich dabei um Dinge, die ihn bewegen – sei es im Besonderen über seine frühere Wahlheimat USA oder im wörtlichen Sinn Autos, gerne auch die aus München.
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Freiheit beginnt zwar im Kopf, aber wenn es dann um ihre konkrete Gestaltung geht, zählen die Optionen. Wir hätten da den autonom fahrenden Audi A7, den Porsche 356 SL und den Volvo S60 Cross Country im Angebot.

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