Herr Pörksen, Ihr neues Buch trägt den Titel »Zuhören: Die Kunst, sich der Welt zu öffnen«. Warum sind das Zuhören und das Sich-Öffnen so wichtig?
Ich dachte in den vergangenen Jahren viel über die große Gereiztheit in der Öffentlichkeit nach. Diese enorme Lautstärke, die Daueremotionalisierung, die Überhitzung des Kommunikationsklimas. Und das führte zu diesem Buch. Zur Diagnose einer großen Gereiztheit. Ich wollte herausfinden, was man eigentlich tun kann, und bin über das Miteinanderreden letzten Endes beim Zuhören angelangt. Mir wurde klar: Zuhören ist die elementarste und vielleicht am stärksten unterschätzte Form der Kommunikation. Ohne das Zuhören gibt es gar nichts, keinen konstruktiven oder destruktiven Streit, kein funktionierendes Miteinander, keine Versöhnung, keine Begegnung und keinen Austausch. Wir konzentrieren uns gerne auf die charismatischen Redner, aber die Figur des Zuhörers vernachlässigen wir. Das ist falsch.
Also kann sich nur öffnen, wer zuhört?
Genau. Für mich ist Zuhören eine Metapher. Ein Bild für das
Durchlässigsein gegenüber der Welt. Es steht für geistige Offenheit, für
den Versuch, das Fremde, vielleicht auch Verstörende, Schreckliche,
aber auch das Schöne – in jedem Fall aber das Andere – an sich
heranzulassen. Deshalb spreche ich auch von der Kunst, sich der Welt zu
öffnen. Nicht weil es sich um etwas Ästhetisches handelt, sondern weil
es mir abseits aller Ratgeber um eine Heuristik geht, um eine Kunst des
Herausfindens.
Zuhören gilt als passiv. Laut Ihrem Buch ist es ein aktiver Prozess. Warum ist das so?
Zuhören ist ein hochgradig aktiver Prozess. Und er funktioniert nur
in Freiheit. Man kann Menschen zum Schweigen bringen, aber man kann sie
nie zum Zuhören zwingen. Es ist unmöglich, festzulegen und
festzustellen, was jemand wirklich hört oder versteht. Was der andere
wirklich an sich heranlässt, findet nur in den inneren Bezirken des
Gehirns statt. Ich unterscheide zwei prinzipiell unterschiedliche Arten
des Zuhörens: das Zuhören mit dem Ich-Ohr und das mit dem Du-Ohr.
Was hat es damit auf sich?
Das Ich-Ohr orientiert sich an der Frage: Stimmt das, was der andere
sagt, mit dem überein, was ich glaube? Dazu gehört auch der Aspekt, dass
ich Dinge aus guten oder schlechten Gründen glauben will. Das eigene
Ego, die eigenen Filter, Urteile und Vorurteile prägen dieses Zuhören.
Wenn der andere genau das sagt, was man erwartet und sich wünscht, dann
entsteht ein kognitives Harmonieerlebnis. Aber in Wahrheit hört man
nicht zu. Faktisch hört man vor allem sich selbst, geprägt von den
eigenen Filtern. Das Du-Ohr-Zuhören wiederum ist eine Form der nicht
egozentrischen Aufmerksamkeit. Die wird von der Frage bestimmt, in
welcher Welt das, was der andere mir sagt, plausibel ist. Hier versucht
man eine völlige Perspektivenübernahme des anderen. Man versucht, sich
von den eigenen Filtern, der eigenen Matrix, der eigenen Weltwahrnehmung
zu lösen.