Target: Targa

Im Dunkel der Nacht das Licht. Ein Porsche 911 Targa, Rot auf den leeren Straßen. Städtekino.

Es ist nicht die Hochdrehzahl-Verfolgungsjagd, die das Adrenalin pusht. Es ist eher das Verstärken der milden Empfindungen, Kontraste verschwimmen im Halbdunkel, die Farben und Geräusche der Nacht, Erleichterung definiert den Gemütszustand, eine Verflüchtigung alles Unschönen, Versöhnung mit der Welt. Und die Frage: »Form. Was ist das?«

Der 911 liefert da über Jahrzehnte zuverlässig und nachvollziehbar gute Antworten. Dabei ist es völlig legitim den Targa hervorzuheben. Die saubere Elfer-Linie ohne Spoiler, gelernt und markant akzentuiert vom Targa-Bügel, offenes Dach, sanfte Radien, breite Backen, horizontales Leuchtband am Heck. Das Einmaleins des Sportwagen-Kennenlernens. Es ist die Idee, der Welt und ihren tagtäglichen Anforderungen am besten mit viel Charisma, einer ordentlichen Portion technischer Chuzpe und einer gewissen Unvoreingenommenheit zu begegnen. Das verkörpert kaum ein Auto besser als der 911 Targa. Er ruft seit exakt 60 Jahren wie kaum ein anderer tiefe, ehrliche, revolutionäre Gedanken hervor. Großer Stoff: Aufstieg und Fall eines Helden, eine Katharsis, die sich über drei Baureihen zieht und das alles überstrahlende Comeback. Das ist die Targa-Story. Es ist episch.

An dieser Stelle ist ein kleiner historischer Einschub unvermeidbar. Die 1960er Jahre, USA. Großer, wichtiger Markt, auch für Porsche. Die neuen Sicherheitsvorgaben für Pkw, gerade bei einem Überschlag, machen es aber nahezu unmöglich ein Cabrio mit softem Stoffdach anzubieten. Was tun? Elferfahren nur noch mit heruntergelassenen Fenstern? Zur Not ein Schiebedach. In Kalifornien? Well … No! Kurzerhand bringt Porsche zur IAA 1965 den 911 Targa mit, ein starrer Bügel als Überrollschutz, massiv, stabil, Dach aus Aluminium und Leder, dazu ein Stoffverdeck mit Kunststoffscheibe im Heck.

Kurzzeitig gab es von 1987 bis 1989 sogar einen Turbo Targa. Der Erfolg mäßig. Mit dem 993 dann der Paradigmenwechsel. Der markante Bügel war nicht mehr notwendig. Der Targa erhielt ein großes Panorama-Glasdach, das man öffnen konnte. »Mehr Licht!« Um es mit Goethes letzten Worten zu sagen. Rückblickend darf man feststellen, das war ein Missverständnis. Sowohl bei Goethes letzten Worten, als auch beim Porsche Targa. 996 und 997 hielten am Konzept des Panorama-Glasdach fest. Ein Hit wurden auch die nicht. In der Retroperspektive hat sich Porsche hier über drei Baureihen ein bisschen verrannt, beziehungsweise einen Erfolgsfaktor ignoriert, der erst ein wenig später in seiner vollen Bedeutung erkannt wurde: Design.

Die Besinnung folgte mit der Baureihe 991 ab dem Jahr 2014. Der Bügel kehrt zurück! Und er ist markanter denn je. Weltpremiere auf der Detroit Motorshow. »Stellen Sie sich vor, Sie treffen Ihre Jugendliebe wieder. Und sie ist noch schöner geworden.« Mit diesem Slogan bewarb Porsche selbst damals den neuen Targa. Der 991 Targa markiert damit einen Punkt der Erkenntnis, wonach sich aus technisch notwendigen und kreativen Lösungen Merkmale ableiten, die mit Blick auf das Storytelling über das Design wirksam werden bis hin zu dem Punkt, an dem die technische Notwendigkeit wegfallen kann, das Design aber bleiben muss. Anders ausgedrückt, die Technik legitimierte das Design, dann emanzipierte sich das Design von der Technik und wird zum skulpturalen Selbst.

Nennen wir es die höchste Form der Form, denn das Design, das sich von der Technik ableitet, unterscheidet sich eben dadurch von der rein ästhetischen Skulptur, die sich ohne jegliche Funktionalität ausschließlich den Gesetzen der schönen Form hingeben kann. Die reine Skulptur muss nichts. Das Auto schon. Und der 911 erst recht. Um das jetzt abzuschließen: Dort, wo sich das Design dann endgültig von der zugrunde liegenden technischen Notwendigkeit löst, aber bestehen bleibt, so wie eben dieser Targa-Bügel, dort ist die Beweisführung für den Erfolgsfaktor Design als legitimen Kaufgrund Nummer eins abgeschlossen.

Man ist geneigt hier den alten griechischen Philosophen heranzuziehen und vom platonischen Ideal zu reden. Platon sprach nämlich einst von »Formen« als ewigen, perfekten Beispielen weltlicher Dinge. Platon wäre vermutlich Targa gefahren. Und er hätte den Dachmechanismus mindestens ebenso gewürdigt wie die Form. Es ist dabei auch gar nicht die technische Schmeichelei der luxuriösen Exzentrik eines teuren Sportwagens. Nein, es ist das Schauspiel als solches. Reines Theater. Ein Festspiel, das einem in 19 Sekunden nahezu alles über die conditio humana, also diese besonderen Wesensmerkmale des Menschen, sagt, die uns gegenüber den anderen naturgegebenen Lebensformen abgrenzen. Nur der Mensch kann sich so etwas ausdenken.

Die Pointe? Es ist die Umkehr der Geschichte des Targa-Bügel. Denn die ausgeklügelte Technik hinter diesem spektakulären Dach-Klapp-Verschließmechanismus musste vor allem auch deshalb entwickelt werden, um das Design möglich zu machen.