So let the good times roll

»Don’t look back« lautet ein Slogan der Skateboarder. Soll uns aber trotzdem nicht davon abhalten, einen Blick zurück zu werfen. Und erst Recht nicht am heutigen »Go Skateboarding Day«. Ein »Ollie« durch sieben Jahrzehnte Brettkultur.
  • Text
    Tim Maxeiner & Wiebke Brauer
  • Fotos
    Doug Inglish

Früher war alles besser? Falsche Frage. Zumindest wenn es ums Skateboarden geht. Weil sich Skateboarden immer wieder neu erfindet. Weil es Kids auf der ganzen Welt nicht interessiert, was vor ihnen war. Sie machen einfach ihr Ding. Denn Skateboarden ist nicht nur eine Art, sich fortzubewegen. Es ist eine Möglichkeit, sich auszudrücken, Geisteshaltung und Lebensgefühl. Jetzt wie damals.

Wenn man beim Skateboarden von »damals« spricht, muss man in die 50er-Jahre zurückgehen, in den Süden von Kalifornien. Damals fusionierten Surfer die Rollschuhe der jüngeren Geschwister mit Holzbrettern, die sie von einer Baustelle in der Nachbarschaft geklaut hatten. Nur kurze Zeit nach seiner Erfindung ging das »Rollbrett« »viral«, wie man heute sagen würde. Die Idee wurde »geshared« und »geliked«, was das Zeug hielt. Logischerweise nicht digital, sondern ganz konventionell und analog durch Abgucken und Nachmachen. Fotos gab es nur wenige, ganz zu schweigen von Marketing-Programmen, Werbung und Medien. Trotzdem feierte das Brett seinen Durchbruch: Ganz Amerika surfte mit einem Mal ohne Wellen und verwandelte den Asphalt in einen Ozean.

»Vielleicht bleibt das Skateboarden die erste und letzte Jugendkultur. Der einfache Grund: Man hat im Alter keine Lust mehr, sich seine verdammten Knochen zu brechen.«

Der Herausgeber des »Quarterly Skateboard« (später »Skateboarder Magazine«), John Severson, schrieb 1964 in seinem Editorial: »Die Skateboarder von heute sind die Pioniere des Sports, sie sind die ersten. Die Geschichte wird jetzt geschrieben, von Dir (dem Leser). Der Sport wird jetzt geformt und wir glauben an eine große Zukunft.« Trotz der visionären Gedanken von John Severson erlitt das Skateboarden erst einmal einen Rückschlag. Der Grund: Das stockkonservative Bürgertum jener Zeit sorgte dafür, dass Skateboarden in vielen amerikanischen Städten verboten wurde. Wobei das Verbot auch darin begründet lag, dass die wenig stabile Bauweise der Bretter und die Rollen aus Stahl oder Keramik zu zahlreichen Unfällen führten. Schon ein Jahr nachdem Severson sein Editorial geschrieben hatte, verschwand nicht nur sein »Skateboarder Magazine« vom Zeitungskiosk, sondern auch das Skaten aus der Gesellschaft. Nur der harte Kern rollte weiter durch die »back alleys« und Hinterhöfe des Landes.

»Nicht umsonst nannte man Skateboarder anfänglich »Asphaltsurfer«. Die Wellenreiter Kaliforniens wollten die Zeit nutzen, in der kaum Wellen aufliefen.«

Erst die Erfindung des Urethane-Wheels, der Kunststoff-Rolle, verhalf dem Skateboarden zu neuem Schwung und schließlich zum Durchbruch. Die neuen Räder ermöglichten eine andere Fahrweise und neue Kunststücke. Und wie es oft in den Anfängen einer Jugendbewegung geschieht, wurde erst einmal versucht, Skateboarden zu domestizieren und zu reglementieren. Der Mainstream der Szene organisierte Skate-­Wettbewerbe, bei denen Schiedsrichter Punkte vergaben. Schiedsrichter! Eine große Gruppe von Außenseitern wusste damit überhaupt nichts anzufangen. So sprengte die heute berühmte und damals berüchtigte Dogtown-Skatecrew – benannt nach Venice Beach, das auch Dogtown genannt wurde – den heute legendären Skateboard-Contest im kalifornischen Del Mar. Ganz einfach, indem sie durch das Publikum surften und anfingen, mit den Skateboards von der Wettbewerbsbühne zu springen, anstatt wie die braven Mainstream-Jungs vorgeschriebene Pirouetten zu drehen. Kleines Problem: Die Kampfrichter hatten dafür keinen Plan. Wie sollten Sie das bewerten? Punkte für schlechtes Benehmen geben? Alle hinauswerfen?

Was die Dogtown-Boys ebenfalls taten: Sie begannen, in leeren Swimmingpools zu skaten – die Vorstufe zur Halfpipe –, von denen es damals reichlich gab. Venice-Beach war damals ein »Seaside Slum« im Niedergang, viele Häuser standen leer. Der Foto­journalist Craig Stecyk, der die Gruppe damals begleitete, stellte schon zu dem Zeitpunkt die entscheidenden Fragen. Ist Skateboarden eigentlich ein Sport? Kunst? Lifestyle? In ­einem seiner Dogtown-Artikel schrieb er: »Die Natur der Skater hat etwas von Guerilla­kämpfern, sie verwandeln die Alltags-Architektur in etwas, das sich Städteplaner nie vorstellen konnten.« Dieser Satz hat von seiner Gültigkeit bis heute nichts verloren.

Seitdem hat sich das Skateboarden verändert. Oder, sagen wir, in Nuancen. 2020 wird Skateboarden erstmals eine olympische Disziplin sein. In Tokio messen sich dann die weltbesten Brett-Fahrer in den Kategorien »Vert« und »Street«, eine riesige Halfpipe und ein ebenso gigantischer Hindernis-Parcours werden gebaut. Es wird um perfekte Manöver gehen, um Tricks, bei denen sich der Skater mit dem Board zweifach in entgegengesetzten Achsen dreht. Finessen, die sich die Pioniere des Skatens nicht im Traum hätten vorstellen können. Aber es wird wieder ein Punktesystem geben. Und die, die sich dagegen auflehnen. Womit mal wieder bewiesen wäre: Es muss sich alles ändern, damit es bleibt, wie es ist.

Wiebke Brauer

Wiebke Brauer

Textchefin ramp & freie Autorin
Glückliche Kindheit auf dem Rücksitz eines schwarzen Mercedes-Benz /8 und einer dunkelblauen 123er Limousine. Nach dem Abitur Studium der Anglistik und der Germanistik im ersten Hauptfach mit dem Schwerpunkt Medienkultur. Ihr erstes Auto: ein Citroën 2CV, weitere Klassiker auf zwei und vier Rädern folgen. Interessiert sich darüber hinaus für Themen aller Arten und arbeitet seit 2016 vogelfrei, wie sie selbst sagt. Unter anderem für Spiegel Online, auto, motor und sport, Motor Klassik, Fuel und den Stern. Und der Zeitschrift ramp ist sie mehr als zugetan.
rampstyle #14 Also, alles gut! rampstyle #14 Also, alles gut! rampstyle #14 Also, alles gut!
rampstyle #14 Also, alles gut!

rampstyle #14 Also, alles gut!

Der Mensch ist nicht perfekt. Aber gerade diese Tatsache macht es doch erst richtig interessant. Erst aufgrund seiner Imperfektion begibt sich der Mensch neugierig und kreativ auf die Suche nach Neuem. Haben wir dann auch mal ganz entspannt gemacht.

Ähnliche Artikel

Unsere Bestseller

  • rampstyle #27 By the Way
    rampstyle #27 By the Way
    20,00 EUR
    Mal ganz nebenbei bemerkt: Rund 30 bis 50 Prozent aller Entdeckungen lassen sich auf Zufälle zurückführen. Ob Klettverschluss, Viagra oder Röntgenstrahlen – man findet etwas, was man so überhaupt nicht gesucht hatte, doch dafür wird man mit anderem belohnt.
  • Limitiert: Coolness – Director's Cut Edition
    Limitiert: Coolness – Director's Cut Edition
    99,00 EUR
    »Coolness« – auf der einen Seite heute ein inhaltsleeres Modewort, auf der anderen eine selbstbewusst gelebte, spätmoderne individuelle Attitüde und Verhaltensstrategie mit rebellischen Wurzeln gegen eine verdrehte und ungerechte Welt. Aber was bedeutet das Wort »cool« tatsächlich und was bedeutet es »cool zu sein«?
  • ramp #60 Unfassbar. Cool.
    ramp #60 Unfassbar. Cool.
    20,00 EUR
    Ein Heft über Coolness? Auch. Aber erst geht’s ins Kino. Da ist dieser erfolgreiche Geschäftsmann aus Boston, der eine Bank um einen ansehnlichen Betrag erleichtert. Die Versicherungen verdächtigen ihn, können aber nichts nachweisen. Das ist die Geschichte des Filmklassikers, in dem Steve McQueen den bis zum Schluss...
  • ramp #59 Morgen ist gestern
    ramp #59 Morgen ist gestern
    18,00 EUR
    Morgen ist gestern. So hieß die erste Episode der Serie »Raumschiff Enterprise«, die vor 50 Jahren in den deutschen Wohnzimmern flimmerte. Alles drehte sich um Zeitreisen und Zeitsprünge – unsere aktuelle Position im Zeit-Kontinuum.
  • rampstyle #26 Good News
    rampstyle #26 Good News
    15,00 EUR
    Zwei schmale Ovale oben in einem Kreis, darunter ein geschwungener Bogen, auf sonnigem Gelb skizziert. In Sekundenbruchteilen hat unser Gehirn die Elemente zu einem lächelnden Gesicht kombiniert, auf Anhieb haben wir gute Laune.
  • Männersachen - Best of rampstyle von Michael Köckritz
    Männersachen - Best of rampstyle von Michael Köckritz
    29,00 EUR
    Hier werden existenzielle Fragen beantwortet: Wie baue ich die perfekte Sandburg? Wie gründe ich eine Band? Gibt es den perfekten Plattenspieler? Männersachen ist eine Art Supergroup: ramp und teNeues werfen ihre geballte Kompetenz in Sachen Lifestyle zusammen.
  • rampstyle #27 By the Way
    rampstyle #27 By the Way
    20,00 EUR
    Mal ganz nebenbei bemerkt: Rund 30 bis 50 Prozent aller Entdeckungen lassen sich auf Zufälle zurückführen. Ob Klettverschluss, Viagra oder Röntgenstrahlen – man findet etwas, was man so überhaupt nicht gesucht hatte, doch dafür wird man mit anderem belohnt.
  • Limitiert: Coolness – Director's Cut Edition
    Limitiert: Coolness – Director's Cut Edition
    99,00 EUR
    »Coolness« – auf der einen Seite heute ein inhaltsleeres Modewort, auf der anderen eine selbstbewusst gelebte, spätmoderne individuelle Attitüde und Verhaltensstrategie mit rebellischen Wurzeln gegen eine verdrehte und ungerechte Welt. Aber was bedeutet das Wort »cool« tatsächlich und was bedeutet es »cool zu sein«?
  • ramp #60 Unfassbar. Cool.
    ramp #60 Unfassbar. Cool.
    20,00 EUR
    Ein Heft über Coolness? Auch. Aber erst geht’s ins Kino. Da ist dieser erfolgreiche Geschäftsmann aus Boston, der eine Bank um einen ansehnlichen Betrag erleichtert. Die Versicherungen verdächtigen ihn, können aber nichts nachweisen. Das ist die Geschichte des Filmklassikers, in dem Steve McQueen den bis zum Schluss...
  • ramp #59 Morgen ist gestern
    ramp #59 Morgen ist gestern
    18,00 EUR
    Morgen ist gestern. So hieß die erste Episode der Serie »Raumschiff Enterprise«, die vor 50 Jahren in den deutschen Wohnzimmern flimmerte. Alles drehte sich um Zeitreisen und Zeitsprünge – unsere aktuelle Position im Zeit-Kontinuum.
  • rampstyle #26 Good News
    rampstyle #26 Good News
    15,00 EUR
    Zwei schmale Ovale oben in einem Kreis, darunter ein geschwungener Bogen, auf sonnigem Gelb skizziert. In Sekundenbruchteilen hat unser Gehirn die Elemente zu einem lächelnden Gesicht kombiniert, auf Anhieb haben wir gute Laune.
  • Männersachen - Best of rampstyle von Michael Köckritz
    Männersachen - Best of rampstyle von Michael Köckritz
    29,00 EUR
    Hier werden existenzielle Fragen beantwortet: Wie baue ich die perfekte Sandburg? Wie gründe ich eine Band? Gibt es den perfekten Plattenspieler? Männersachen ist eine Art Supergroup: ramp und teNeues werfen ihre geballte Kompetenz in Sachen Lifestyle zusammen.