Ist es nicht beeindruckend, wie genau Wölfflin die bemerkenswerte Formgebung des Spiegelei-Porsches beschrieben hat? »Sobald die Linie als Grenzsetzung entwertet ist, beginnen die malerischen Möglichkeiten. Dann ist es, als ob es plötzlich in allen Winkeln lebendig würde von einer geheimnisvollen Bewegung. Während die stark sprechende Umrandung die Form unverrückbar macht, die Erscheinung gleichsam festlegt, liegt es im Wesen einer malerischen Darstellung, der Erscheinung den Charakter des Schwebenden zu geben: Die Form fängt an zu spielen, Lichter und Schatten werden zu einem selbstständigen Element, sie suchen sich und binden sich, von Höhe zu Höhe, von Tiefe zu Tiefe; das Ganze gewinnt den Schein einer rastlos quellenden, nie endenden Bewegung. Ob die Bewegung flackernd und heftig sei oder nur ein leises Zittern und Flimmern: Sie bleibt für die Anschauung ein Unerschöpfliches.«
Extremer geht es nicht mehr: Der Porsche 996 nähert sich in seiner Infrastruktur nicht nur einem Rembrandt, sondern schon einem späten Turner, ja dem Pointillismus an. Erneut ist der Übergang zwischen Scheibe und Karosserie für die Stilqualität des Ganzen ästhetisch signifikant, denn er wird hier im wörtlichen Sinne impressionistisch, ja man muss sogar sagen, im wörtlichen Sinne pointillistisch. Die Leiste, die erst verchromt, dann schwarz war, ist jetzt ganz verschwunden, und der Übergang zwischen Scheibe und Lack verfließt malerisch, indem der Scheibe am Rand immer dünner werdende Punktereihen aufgedruckt werden, die ab einem gewissen Abstand gar nicht mehr als Punkte erkannt werden können. Wie eine Schraffur bei Rembrandt oder ausfließende Punkte bei Georges-Pierre Seurat sind die Scheibe und Karosserie ästhetisch gleichgesetzt.
Ja, wenn man Wölfflins Ästhetik ernst nimmt, gibt es keinen Grund, warum man für ästhetische Erfahrungen in ein Kunstmuseum gehen muss: Was formal für die Bilder der Kunst gilt, gilt auch für das Design von Autos – Grund genug, endlich jeden Streit, ob etwas Kunst oder Design ist, zu beenden