Ein Ferrari wie
ein Ferrari

Es muss einer der schmachvollsten Momente im Leben des Luca Cordero di Montezemolo gewesen sein. Wir schreiben das Jahr 1989. Eine rote Ampel in Italien. Der fesche und stets wie aus dem Ei gepellte Luca am Steuer eines gelben Ferrari 348, dessen Kiemen-Optik an den Testarossa erinnert. Neben ihm steht irgendein von Abarth getuntes Geschwür von Fiat. Erste Start­reihe, wenn man so will. Der adelige »Nobile dei Marchesi di Montezemolo« (Edler von Montezemolo) ist sich für Beschleunigungsduelle in der Stadt eigentlich viel zu gut, das überlässt er normalerweise ganz nonchalant dem Pöbel. Aber diesmal juckt’s ihn im rechten Fuß, man ist ja auch nur ein Mensch, dem Prolo will er eine Lektion erteilen. Erster Gang schon eingelegt. Die Ampel schaltet auf Grün. Dann geschieht Unsagbares: Der Fiat versägt den Ferrari! Südlich vom Brenner nennt man so etwas Gotteslästerung. Hätte es die Inquisition noch gegeben, der Kerl im Fiat wäre auf dem Scheiterhaufen gelandet.

Für Montezemolo stand die Welt auf einmal kopf. Wie wenn Schafe plötzlich Wölfe fressen. Und er mag sich vielleicht gedacht haben, dass die zwei Buchstaben auf seinem Autokennzeichen – »MO« – nicht für Modena, sondern für Moskau stehen. »Monte«, damals Generaldirektor des Organisationskomitees für die Fußball-WM in Italien, wurde zwei Jahre später Boss von Ferrari. Er bat seinen alten Weggefährten Niki Lauda, den 348 zu testen (Montezemolo war einst Rennleiter von Ferrari, gewann mit dem Österreicher 1975 und 1977 das F1-Championat). Der tat ihm den Gefallen, brachte das Auto mit folgenden Worten zurück: »Macht komische Geräusche und fährt sich rucklig.« Auf Wienerisch hätten dafür sechs Buchstaben gereicht: »A Kraxn.«

Sie hatten viel gutzumachen in Maranello. Man darf davon ausgehen, dass jene Köpfe, die nicht rollten, von früh bis spät rauchten. Bildhaft die Vorstellung, wie das quirlige Energiebündel Montezemolo stündlich alle zusammentrommelt, den Mann für den Motor, den Mann fürs Getriebe, den Mann fürs Fahrwerk und so weiter – lauter Männer, daran hat sich bis heute nichts geändert, strengen Sie sich halt ein bisserl an, meine Damen, kann doch im 21. Jahrhundert nicht mehr so schwer sein, ein gescheites Supercar-Triebwerk zu konstruieren –, und wie er ihnen wild gestikulierend eintrichtert, dass der Nachfolger der Krücke 348 die enttäuschten Ferraristi wieder versöhnen und der Welt zeigen müsse, dass die Via Abetone Inferiore numero quattro immer noch erste Adresse für den absoluten Sportwagen sei. Oder wolle man sich endgültig zum Gespött bei den liebsten Feinden in Zuffenhausen machen?

Es half. Bravourös riss man das Ruder herum. Was im Frühjahr 1994 unter dem Namen F355 auf den Markt kam, war ein Meisterwerk. Ein Ferrari wie ein Ferrari. Äußerlich: überwältigender sinnlicher Eindruck. Innerlich: progressiv bis in die letzte Schraube. Wer den Neugeborenen auf dem Genfer Automobilsalon rundum betrachtete, konnte die Züge der Stilikonen 308 und 288 GTO durchschimmern sehen, ähnlich wie glückliche Eltern im Antlitz ihres Säuglings gewisse physiognomische Merkmale einer in jüngeren Jahren besonders attraktiven Großmutter entdecken. Er wirkte kurviger und verführerischer als sein Vorgänger, hatte wieder die vier charakteristischen Rücklichter, da wusste man auch nachts mit hundertprozentiger Sicherheit, wer da mit 295 km/h an einem vorbeigedonnert war. Zusammenfassend lässt sich über das Design sagen: Pininfarina machte einen mit Höchstnote zu bewertenden Salto rückwärts hin zu klassischer Eleganz.

Was das Maschinelle betraf, zeigte dieser Ferrari der Konkurrenz, wie so ein Technologietransfer aus der F1 maximal ausgereizt werden kann. Stimulanz seiner kinetischen Energie war ein 3,5-Liter-V8-Sauger mit Titanpleuel, flacher Kurbelwelle und leichten Kolben aus geschmiedeter Legierung. Größter Trumpf aber waren fünf Ventile pro Zylinder, die man stolz in der Modellbezeichnung verewigte: 355 = 3,5 Liter, 5 Ventile. Machte summa summarum 380 PS. Der letzte von Hand gefertigte Ferrari (mit dem Nachfolger 360 ging man in die Massenproduktion über) generierte mehr PS pro Liter als der V12 im McLaren F1! Auch das Kampfgewicht stimmte: Mit 1.350 Kilo war er zwei Deutsche Doggen leichter als der 348 (1.440 Kilo). Rund 220.000 Mark waren hinzublättern.

Drei Jahre nach seiner Präsentation meinten die Italiener, ihrem Superstar noch das i-Tüpfelchen draufsetzen zu müssen. Optional zur betörend schönen Sechs-Gang-Kulissenschaltung war er als erster Straßenwagen mit dem aus der F1 stammenden halbautomatischen Getriebe erhältlich. Hätte man ( … )

→ Die gesamte Geschichte lesen Sie in ramp #65 »Surfing Cowboys«.