Wechsel-
Stromer

Menschen lieben den Geruch von Benzin. Vor vier Jahren fand man über eine Umfrage heraus, dass zwanzig Prozent der Befragten beim Umstieg auf ein E-Auto tatsächlich den Geruch von Benzin am meisten vermissen würden. Auf einer Beliebtheitsskala lag er sogar fast gleichauf mit dem Geruch von neuen Büchern. Dieses Wissen machte sich Kia bei der Markteinführung des Kia EV4 in Finnland zunutze und bietet – solange der Vorrat reicht – allen Käufern des Wagens einen Lufterfrischer für den Innenspiegel an, der nach Benzin duftet. Das, so Kia Finnland, solle beim Wechsel vom Verbrenner zum Stromer dabei helfen, »akute Entzugserscheinungen« zu lindern.

Das ist natürlich eine clevere Marketing-Idee, tatsächlich aber hat Kia mit dem EV4 weit mehr zu bieten als nur ein neues Auto mit E-Motor. Mit dem EV4, den es seit diesem Herbst sowohl als fünftüriges Kompaktmodell als auch als Fastback gibt, zeigt Kia, dass Marketing nicht alles ist. Dass es auch eine gut überlegte Strategie ist, ein neues Modell nicht nur an den Kunden zu bringen, sondern ihm auch das zu geben, was er haben will. Und das ist in Kurzfassung: mal kein SUV oder Crossover. Das fühlt sich im Fall von Kia erst mal etwas ungewohnt an, ist aber am Ende so, als würde man nach einem Jahrzehnt Filterkaffee endlich wieder einen Espresso bekommen.

Mit dem EV4 betritt Kia ein Terrain im hiesigen Markt, das bei Elektroautos bislang eher dünn besiedelt ist. Gleichzeitig ist das Modell so etwas wie eine europäische Antwort auf den globalen Design-Einheitsbrei – und das ganz bewusst. Denn Kia baut, was die Kunden wirklich wollen.

Während viele Hersteller noch versuchen, irgendwie den weltweiten Massengeschmack zu treffen – was manchmal klappt und manchmal eher so ... lala –, reagiert Kia auf den immer feineren Unterschied im Geschmack der Autofahrer. Und das ist clever. Denn während der Markt mittlerweile von chinesischen Modellen in allen erdenklichen Bauformen und Antriebsvarianten geradezu überflutet wird, setzt Kia mit dem EV4 auf eine durchdachte, fast schon bodenständige Alternative – mit klarer Kante und europäischem Gespür.

Dabei ist der EV4 nicht einfach nur für Europa gedacht – er kommt auch von hier. Das Design stammt aus dem europä­ischen Designzentrum in Frankfurt am Main; Entwicklung und Abstimmung finden in Rüsselsheim und am Nürburgring statt, produziert wird im slowakischen Werk bei Zilina. Nur dort läuft der kompakte Fünftürer vom Band. Ein mutiger Schritt? Vielleicht. Aber vor allem ein logischer: Wer direkt vor Ort baut und tüftelt, versteht eben besser, was die Kundinnen und Kunden wirklich wollen.

Der elektrische Hatchback bleibt trotz aller Neuerungen der vor nicht allzu langer Zeit mit dem EV6 und EV9 ausgerufenen Designphilosophie »Opposites United« treu. Dieser Ansatz der vereinten Gegensätze lässt sich auch beim neuen EV4 gut ablesen, denn anders als viele Modelle im C-Segment, die sich in der Regel sehr eng an das Design der Golfklasse halten, fand Kia einen anderen Weg. Die Front ist niedrig gehalten, und so wirkt die Seitenansicht des Stromers eher so lang wie eine klassische Limousine, was einem tatsächlich das Gefühl gibt, weit mehr als nur einen Kompaktwagen zu fahren. Hinzu kommt die abfallende Heckscheibe, die wiederum der gesamten Ästhetik Sportlichkeit verleiht.

Somit ist der EV4 ein Fahrzeug, das für jeden Einsatz und Gebrauch geeignet ist. Das könnte eine passable und vorteilhafte Marktlücke im E-Auto-Markt sein und die Hemmschwelle beim Wechsel vom Verbrenner zum Stromer senken. Und wer trotzdem Entzugserscheinungen hat, kann ja einfach an der nächsten Tankstelle halten und schnuppern. Die Duftbaumaktion gibt es nämlich nur in Finnland. Was dann doch ein bisschen schade ist.