Wie gehen Sie damit um?
In erster Linie: gar nicht. Ich tue so, als gäbe es das alles nicht, bis ich es wirklich nicht mehr ignorieren kann. Meine Lebenszeit ist begrenzt. Daher habe ich beschlossen, dass ich nicht mehr Zeit in diesen Unsinn investiere, als nötig.
Dann mal ganz naiv gefragt: In was investiert ein Oberbürgermeister seine Zeit dann?
Naiv geantwortet: Er sorgt dafür, dass es der Stadt und damit den Menschen gut geht. Das umfasst alles – Lebensqualität, Miteinander, Zukunftsfähigkeit. Und darüber wird natürlich auch gestritten. Demokratie braucht Reibung. Ich erwarte nicht, dass alle meiner Meinung sind.
Aber der Diskurs schäumt heute oft über, Empörung und moralische Keulen inklusive.
In der Tat. In den öffentlichen Debatten werden die Entscheidungsmechanismen neu konstruiert. Laut Jürgen Habermas geht es eigentlich darum, dass alle Argumente auf den Tisch kommen und das stärkste Argument gewinnt. Heute ist dagegen fast alles auf maximale Fehlinterpretation ausgelegt und es wird von einem Standpunkt der moralischen Überlegenheit diskutiert. Social Media hat dieses Empörungsmodell perfektioniert, die klassischen Medien ziehen mit, weil es auf Klicks ankommt. In dieser Dauerempörung kommen wir gar nicht mehr dazu, uns um die wirklichen Probleme zu kümmern. Wir regulieren uns zu Tode. Wir behindern uns ständig selbst – und wundern uns dann über Rückstände bei KI, Industrie, Innovation.