In Fahrt, auf Föhr

Während halb Süddeutschland überschwemmt wurde, konnte man in der Nordsee von der Fähre aus den Meeresboden sehen, so dünn war hier das Wasser während der Ebbe verteilt. Ich wunderte mich, wie die Fähre es überhaupt schaffte, von Dagebüll bis nach Wyk zu kommen. Sie war schwer mit Autos beladen, die alle größer aussahen als die Insel, die vor uns lag. Föhr, eine märchenhafte deutsche Kulisse, ragte in ihrer ganzen Schönheit aus dem Watt und war schon von Weitem zu sehen. Dort wollten wir uns entspannen und mit einem Porsche Turbo eine Runde drehen.

Auf unseren SSST-Reisen für ramp landen wir manchmal an überraschenden und besonderen Orten, dachte ich und beobachtete, wie sich eine riesige Schlammfläche auf uns zubewegte. Die Kinder veranstalteten neben dem Hafen eine Schlammorgie, sie suchten nach Wattwürmern, untersuchten alle Löcher auf dieser »größten trockenfallenden Meeresfläche der Welt« wie das Wattenmeer auf Wikipedia genannt wird. Ein Paradox in sich. Wie kann eine Meeresfläche trocken sein? Aber nachdem die Fähre den ganzen Weg fast ohne Wasser zu der Insel geschafft hatte, wunderte mich nichts mehr. In diesem Watt sollen tausende verschiedene Arten von Lebewesen zu Hause sein, doch das berühmteste ist wohl der unsichtbare Wattwurm, so haben es mir die Touristen geschildert. Vor allem junge Menschen wollen ihn einmal von Nahem sehen, schaffen es aber nicht. Die Wurmjagd scheint für sie eine eigene Attraktion auf Föhr zu sein: Der Wattwurm bohrt Löcher in den Schlick, die jungen Menschen sehen die Spuren und versuchen, den Wurm mit kleinen Schaufeln oder einfach mit den Fingern aus den Löchern rauszukriegen, vergeblich. Dann eben nicht, denken die jungen Menschen und gehen zur Eisbude neben dem großen Garten-Schachspiel Eis essen. Der Wurm ist an die Jagd gewöhnt, er kann sich sehr gut tarnen. Auch unser Testwagen, ein Porsche in Hellblaugrau, wirkte am Ufer des Wattenmeeres gut getarnt, das Wattwasser und der Himmel über der Nordsee waren ebenfalls hellblaugrau.

Bevorzugt Familien und Aktivurlauber lieben Föhr, erklärt Michael, der sich seit vielen Jahren immer wieder auf Tage und Wochen auf der Insel freut. Sylt entspricht München, Föhr Tübingen, ordnete er mit einem Augenzwinkern fröhlich ein. Als Tübinger muss er es wissen. Boris Palmer, der (ehemals grüne) Oberbürgermeister von Tübingen, ist wohl auch schon öfter hier gesehen worden. Dann aber vermutlich eher nicht mit einem Porsche Turbo.

Über zehn Stunden war Michael unterwegs gewesen, um von Süddeutschland nach Föhr zu kommen, und er sah nicht einmal müde aus. Er fuhr auch nicht mit dem neusten Porsche Turbo, sondern nahm das Modell davor. Das Gute muss man doch nicht immer gleich gegen das Neue eintauschen, sagt Michael. In der Wissenschaft gibt es mit dem Begriff »Neomanie« sogar ein Wort für diese Sucht nach dem letzten Schrei. Wir Menschen, erklären die Experten, überschätzen sogar reflexartig den Wert des Neuen, weshalb das Phänomen auch gleich als ein Irrweg des Denkens in die Kategorie der kognitiven Verzerrungen aufgenommen wurde. Also ignorierten Michael und ich alles angesagt Neue und fuhren vergnügt ein paar Runden über die Insel.

Mit der Fähre hatten wir die turbulente ­Festland-Zivilisation auf der anderen Seite des Meeres zurückgelassen. Wir wollten uns zurücklehnen und den Blick schärfen auf die zeitlose Substanz dieses Planeten – auf das Wattenmeer, das sich alle paar Stunden bis zur Unkennt­lichkeit ändert, aber immer treu bleibt. Wir konnten es von der Terrasse unseres Hotels aus sehen, das den nahezu unaussprechlichen Namen »Upstalsboom« trägt. Ich konnte im Hotel nicht lange sitzen. Ich ging regelmäßig raus ans Ufer, um aus nächster Nähe einen Blick aufs Meer zu werfen, denn irgendwann sollte laut Gezeiten-Plan Hochwasser angesagt sein. Von den anderen Touristen hatte ich gehört, dass das Wasser zurückkommt, wenn man ihm den Rücken zukehrt. Also tat ich so, als würde ich mich dem Meer nicht zuwenden und versuchte mich spontan umzudrehen. Alles vergeblich, das Wasser kam nicht. Manchmal doch ein bisschen, aber nicht überall. Ebbe und Flut ist eine Zauberei.

Eine wasserdichte wissenschaftliche Erklärung dafür gibt es nicht. Einige sagen, die Anziehungskraft des Mondes sei daran schuld, allerdings scheint der Mond überall auf dem Planeten gleich, warum soll er ausgerechnet hier an der Nordsee das Wasser anziehen? Es gibt auch welche, die sagen, in der Nordsee wird das Wasser extra alle acht Stunden abgepumpt, ein alter kapitalistischer Trick, um die Touristen anzulocken. In der benachbarten, ehemals sozialistischen Ostsee ist das Wasser ja zu jeder Zeit vorhanden, zwar nicht viel, aber in der immer gleichen Menge für alle. Auf Föhr tänzelt das Wasser, es schaukelt hin und her, kommt und geht, wann es ihm passt.

Ich habe mutig ein paar einheimische Frauen darauf angesprochen, ( … )

→ Die gesamte Geschichte lesen Sie in ramp #65 »Surfing Cowboys«.