Höchstleistungs-
Ästhetik

Wer sind Sie – und was treibt Sie an?

Mein Name ist Emilio Scervo, ich bin Chief Technical Officer bei Bugatti und in Bezug auf meinen Beruf sehr leidenschaftlich. Das hat schon in meiner Kindheit angefangen. Ich bin in einer kleinen Stadt aufgewachsen, und mein Onkel hatte dort die einzige Alfa-Romeo-Werkstatt. Jedes Wochenende war ich dort, roch das Motoröl und war ständig von Autos umgeben. An der Universität studierte ich dann Luft- und Raumfahrttechnik, weil mich Hightech schon immer faszinierte – zuerst Aerodynamik, dann alles andere. Mich treibt an, Grenzen zu verschieben, mich selbst und mein Team herauszufordern und dabei offen zu bleiben, wie ein Produkt aussehen kann. Wobei klar ist, dass wir die Markenwerte von Bugatti wahren. Ein Bugatti muss einfach unvergleichlich sein.

Und wer sind Sie abseits der Arbeit?

Ich bin Vater von zwei Kindern, verheiratet mit einer wunderbaren Frau und lege großen Wert auf Balance zwischen Beruf und Privatleben. Ganz egal, wo ich bin – am Wochenende bin ich zu Hause bei meiner Familie.

Und unter der Woche: Was fühlen Sie, wenn Sie an den Fahrzeugen arbeiten?

Es ist eine große Emotion – diese Verbindung zur Geschichte, zu den Produkten und dem, was die ganze Marke repräsentiert. Ich liebe Autos einfach und für mich bedeutet diese Rolle, an der absoluten Spitze der Automobilwelt tätig zu sein. Ich bin stolz, Produkte zu entwickeln, die nicht nur Leistung, sondern auch Emotionen vermitteln. Das unterscheidet Bugatti etwa von der Formel 1 – dort geht es nur um Technik. Ein Bugatti wiederum muss Technologie, Leistung und Emotionalität miteinander verbinden – im Design, im Klang, im Fahrerlebnis.

Trotz ihrer Rolle als Technikchef überwiegt bei Ihnen also nicht der analytische Blick, sondern das ganzheitliche Gefühl?

Absolut! Ich beginne bei meiner Arbeit stets mit dem großen Blick, denn ich komme aus dem Bereich Konzept- und Architekturentwicklung. Exzellente Produkte erkennt man daran, dass in ihnen alles harmonisch zusammenfindet – das Design, die Proportionen, die technische Umsetzung. Je näher ich das Auto betrachte, desto stärker interessieren mich die Detaillösungen. Hier sieht man, ob ein Ingenieur seine Arbeit liebt oder einfach nur Dienst nach Vorschrift macht.

Muss ein Ingenieur also leidenschaftlich sein, um gute Arbeit zu leisten?

Unbedingt! Die besten Leute in meinem Team sind auch die leidenschaftlichsten. Sie gehen diese vielzitierte Extrameile, weil sie einfach lieben, was sie tun. Wer diesen Beruf nur als Job sieht und nüchtern auf Zahlen schaut, wird niemals das liefern, was für einen Bugatti nötig ist. Leidenschaft ist der wahre Antrieb – und mehr wert als jedes Geld der Welt.

Sind diese Ingenieure – und damit auch das Streben nach Perfektion – ein Alleinstellungsmerkmal von Bugatti?

Ich finde ja. Wir verbinden technologische Exzellenz mit künstlerischer Vision. Unsere Designabteilung und das Engineering arbeiten Hand in Hand. Das Design-Team denkt nie nur in Formen, sondern immer auch an die Funktion. Und unsere Ingenieure achten auf Ästhetik: Selbst Bauteile unter der Karosserie sollen nicht nur funktionieren, sondern auch perfekt aussehen. Diese Liebe zum Detail macht Bugatti einzigartig.

Wie gelingt es Bugatti darüber hinaus, technisch immer an der Spitze zu bleiben? Mit Think-Tanks? Elite-Teams? Oder etwas ganz anderem?

Weder noch. Bei uns läuft es ganz, ganz anders – wir haben nämlich überhaupt kein Innovationsdepartement! (lacht) Jeder Ingenieur ist gleichermaßen für Innovation verantwortlich. Ich möchte nicht, dass sich jemand blind auf andere verlässt. Jeder in unserem Team darf und soll Ideen einbringen, wir fördern diese Bottom-up-Innovation ganz aktiv. Wichtig ist hier auch die richtige Einstellung: Ich will Teamplayer, die sich und mich ständig herausfordern.

Welches Detail empfinden Sie dabei am Tourbillon als besonders kunstvoll?

Wir entschieden uns früh für ein analoges Cockpit, denn Displays altern schnell, aber eine analoge Uhr ist zum Beispiel auch nach einem Jahrhundert noch begehrlich. Diese Philosophie steigert aus unserer Sicht auch den Wert dieses Autos und festigt ihn auch mit Blick auf die Zeit. Dabei wussten wir anfangs überhaupt noch nicht, wie man das technisch umsetzt. Aber wir fanden bald den richtigen Weg – auch dank Uhrmachern aus der Schweiz.

Muss demnach ein Produkt analog sein, um mehr als eine Maschine zu sein? Ist das der Weg zur Zeitlosigkeit?

Ein ganz klares Ja. Wir sind als Menschen selbst »analog« – und lebendig. Analoge Dinge sprechen unsere Sinne anders und viel direkter an. Es geht um Kunst, um Handwerk. Der Bugatti Tourbillon verfügt natürlich über eine hochmoderne Technologie, aber diese dient allein dazu, die Verbindung zwischen Fahrer, Auto und Straße spürbarer zu machen – nicht um sie künstlich zu verfälschen.

Kunst statt Künstlichkeit und Technologie im Dienst der Emotion?

Ganz genau. Technologie soll das emotionale Erlebnis verstärken – nicht ersetzen.

Bedeutet das, dass Leistungsdaten für Sie zweitrangig sind?

(Lacht) Nein, Leistung bleibt zentral – aber sie dient dem Erlebnis. Unsere Antriebstechnologien ermöglichen das unvergleichliche Gefühl beim Beschleunigen oder in Kurven.

Wie sehen Sie in diesem Zusammenhang den Übergang vom W16- zum neuen V16-Motor?

Ich kam mitten in der Übergangsphase zu Bugatti und verstehe die emotionale Bindung vieler an den W16 vollkommen – ein wirklich großartiges Aggregat. Aber ich bin einfach auf die Zukunft fokussiert. Ich habe den Tourbillon-Prototyp mehrfach gefahren, das Zusammenspiel aus hochdrehendem V16 und Elektromotor ist einfach unvergleichlich. Und trotz seiner Hybridtechnik ist der Tourbillon leichter als sein Vorgänger. Das ist die Essenz dieser vielzitierten Ingenieurskunst.

Welche Rolle spielt hier die neue technische Allianz mit Rimac? Darf man »Rimac« laut in einem Satz mit »Tourbillon« sagen?

Lassen Sie mich so antworten: Ein Bugatti bleibt ein Bugatti. Natürlich hilft das Know-how von Rimac im Bereich Elektrotechnik bei der Transformation, aber die Entwicklung des Tourbillon liegt klar in Bugattis Händen.

Wird Bugatti jemals vollelektrisch?

Nicht in absehbarer Zeit. Ein elektrisches Auto kann aufregend sein – wegen der Beschleunigung. Aber so ein Bugatti lebt wie bereits gesagt von der mechanischen Faszination, vom Klang, der Komplexität. Und das wird noch lange so bleiben.

Kann nachhaltiger Erfolg also nur aus einer großen Vergangenheit entstehen?

Nein, aber eine starke Marke wie Bugatti und die richtige Einstellung sind die perfekte Kombination. Das Erbe inspiriert uns, aber nur mit dem richtigen Mindset geht es in die Zukunft.

Sprechen wir noch über den Bolide. Er wurde um den legendären W16-Motor herum gebaut. Ist das der Traum eines CTOs?

Ja, absolut. Der Bolide war dabei aber praktisch ein völlig neues Auto. Wir mussten einfach alles überarbeiten: Motor, Getriebe, Aerodynamik. Und obwohl er 1.600 PS hat und drei Tonnen Abtrieb erzeugt, ist er erstaunlich leicht zu fahren. Genau das war auch unser Ziel. Es war dabei eine riesige Herausforderung, Technologien zu finden, die uns sowohl das geringe Gewicht als auch die aerodynamische Leistungsfähigkeit des Autos ermöglichten.

Sie sprachen gerade davon, dass der Bolide einfach zu fahren sei. Wirklich? Wer wäre von seiner ultimativen Leistung nicht eingeschüchtert?

Das Auto ist tatsächlich extrem einfach zu fahren. Wenn Sie kein professioneller Fahrer sind, können Sie den Rennanzug anziehen, einfach in das Auto steigen, sich etwas coachen lassen und es dann genießen. Es ist ein Monster – und dennoch kann man es fast wie ein normales Auto fahren. Das ist unglaublich! Und es ist, denke ich, unsere größte Errungenschaft.