Factory Berlin

Herr Schloemer, können Sie in einem Satz beschreiben, wer Sie sind?

Ich versuche seit 54 Jahren, das herauszufinden.

Was treibt Sie an?

Das wiederum kann ich Ihnen ganz klar beantworten: Ich liebe Menschen. Ich will Dinge verändern und bewegen. Nichts macht mich trauriger als ungenutztes Potenzial. Und wenn ich ehrlich bin, hat alles mit dem Wunsch nach wirtschaftlicher Unabhängigkeit angefangen. Idealismus kam erst später. Mein ursprünglicher Plan war es, Kaufmann zu werden und bei Karstadt Platten zu verkaufen.

War Kaufmann eine pragmatische Entscheidung?

Für mich war klar: Kaufmann bedeutet Geld verdienen. Zunächst war es dann die Ausbildung zum Versicherungskaufmann. Versicherungsmathematiker wurde ich eher durch Zufall. Ich hatte die Realschule abgeschlossen, dann die Ausbildung begonnen und sie mit 17 abgeschlossen. Ich war zu jung für den Außendienst und besaß noch keinen Führerschein. Also bot man mir bei der IHK die Weiterbildung zum Versicherungsmathematiker an.

War es so dröge, wie es sich anhört?

Es war ziemlich ernüchternd. Wenn man einmal in der Versicherungsmathematik arbeitet, rechnet man mit Sterbetafeln. Man weiß ziemlich genau, wann Menschen, je nach Beruf, im Schnitt sterben. Und man lernt: Es gibt keine einzige wahre Statistik auf der Welt. Die Welt basiert auf Konstruktionen, oft sogar auf gezieltem Betrug. Rumänien wollte zum Beispiel einst das Rauchen verbieten und gab dazu eine Studie in Auftrag. Das Ergebnis: Der Staat hätte zwar weniger Krankheitskosten, müsste aber das Drei- bis Vierfache an Renten aufbringen, weil die Menschen älter würden. Am Ende kam dabei die absurde Aussage heraus, dass 60 Zigaretten am Tag das Krebsrisiko um 70 Prozent senken im Vergleich zu 20 Zigaretten. Weil man schlicht an etwas anderem stirbt, zum Beispiel an einem Herzinfarkt.

Wie kamen Sie dann dazu, mit Immobilien zu handeln?

Ich war damals 19, arbeitete bei Colonia – heute Axa – in der Fondsabteilung. Der große Trend damals waren Schiffsfonds. Morgens kamen seitenweise Faxe mit unterschriebenen Beteiligungsverträgen. Menschen investierten Millionen in Projekte, die sie nie gesehen hatten. Nur wegen der Steuervorteile. Und ich dachte: Wenn Menschen blind in Schiffe investieren, dann doch lieber in Immobilien. Da kann man wenigstens hinfahren, sie anfassen. Ich wollte nie selbst bauen, sondern eher als Berater wirken. Mein erstes Objekt war in Leipzig-Gohlis – traumhafte Lage. Ich hatte keine Ahnung von Immobilien, aber ein gutes Gespür für Lagen und für Menschen. Ich kann mir ein altes Haus ansehen und mir genau vorstellen, wie es fertig aussehen wird.

Wann kam Ihr Durchbruch?

Das war 1996. Ich war 26 und man bot mir mein erstes Objekt im Berliner Regierungsviertel an, in der Schlegelstraße 22. Damals glaubte niemand an Berlin. Es hieß: keine Wirtschaft, keine Industrie, keine Perspektive. Aber ich dachte: Wenn die Politik kommt, kommt das Geld. Also wettete ich auf die Entwicklung der Stadt, auf den Charme der Altbauten. Und die Wette ging auf.

War es wirklich eine Wette? Keine 
Strategie?

Wir kauften nur dort, wo es Studentenkneipen gab. Unsere eigene Analyse zeigte: In allen großen Städten – wie London, Paris, New York – begannen die Wertsteigerungen dort, wo erst Künstler und Studenten hinzogen, dann Familien. Prenzlauer Berg, Pankow, Mitte. Nur dort investierten wir. Viele unserer Objekte haben sich im Wert verzehnfacht oder mehr. 2006 kam dann Lehman Brothers und kaufte unser Unternehmen.

Warum haben Sie verkauft?

Weil ich erkannte, dass ich kein guter Manager bin. Ich bin Unternehmer, Visionär, kein Verwalter.

Woran merkten Sie das?

An den internen Konflikten der Firma. 600 Mitarbeiter, das bedeutete Neid, Missgunst, Bürointrigen. Das machte mich fertig. Ich wollte eine Firma, in der alle glücklich sind. Stattdessen erfuhr ich von Anträgen zur Bildschirmgröße oder wer mit wem liiert war. Das war mir zu viel.

Und dann investierten Sie in Start-ups?

Start-ups waren damals in Deutschland so exotisch wie heute ein Kiosk auf dem Mars. Ich wusste überhaupt nicht, was das eigentlich bedeutet. Warum sollte ich in ein Unternehmen investieren, das jeden Monat Geld verbrennt und trotzdem behauptet, zehn Millionen Euro wert zu sein? Aber dann befassten wir uns intensiver mit dem Thema, schauten uns das Silicon Valley an und stellten fest: Da passiert etwas Großes. Wir waren inspiriert von der Philosophie »Invest in teams earlier than others and in ideas we understand«. Letzteres mussten wir recht schnell aufgeben. Bei der Hälfte der Pitches hatten wir keine Ahnung, worum es ging. Aber wir waren bereit zu investieren. Wir waren das verrückte Ehepaar aus der Immobilienwelt, das plötzlich Geld in Start-ups steckte. Meine Frau Sabrina und ich machen seit 1998 alles zusammen. Sie ist mein Ruhepol, sachlich, analytisch. Im Prinzip hat sie alles, was mir fehlt.

Und dann entstand die Factory in Berlin?

Ich wollte einen Ort schaffen, an dem man diesen Spirit spürt. Also bauten wir einen Campus, den die Welt noch nicht gesehen hatte. (...)

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