Als noch vor der Ära des Computers im Jahr 1976 die ersten zahlenden Passagiere das Innenleben des brandneuen Überschallflugzeugs Concorde betraten, waren die Fluggesellschaften und deren Mitarbeiter nachvollziehbar und mit Recht voller Stolz auf ihr futuristisches Fluggerät und gewährten dem einen oder anderen VIP einen Blick ins Cockpit. Die Wirkung dieses Eindrucks bei den Auserwählten war jedoch zwiespältig. Einerseits dokumentierte die unüberschaubare Fülle an Schaltern, Anzeigeinstrumenten und für den Laien nicht identifizierbaren Ausrüstungsgegenständen der drei Arbeitsplätze für Piloten und Bordingenieur einen beeindruckenden technischen Entwicklungsgrad, andererseits beschlich die Betrachter Zweifel an der völligen Beherrschbarkeit dieses Systems. Es heißt, man sei dann zu dem Schluss gekommen, mit der Cockpit-Tour bis nach erfolgreicher Landung zu warten. Übrigens brachten die Crews aller Concordes diese stets sicher ans Ziel, der tragische Unfall der Air France-Maschine im Jahr 2000 war nicht auf die Überforderung der Besatzung, sondern auf die Kollision mit einem auf der Startbahn liegenden Triebwerksteil – der Hinterlassenschaft einer kurz vorher gestarteten Maschine – zurückzuführen. Das plötzlich auftauchende Hindernis auf der Strecke – der »kleine Gruß« aus der Hexenküche der Entropie.
Um dieser Ohnmachtserfahrung seine depressive Pointe zu nehmen, schlägt Sloterdijk in seinem Vortrag »Das Zeug zur Macht« aus dem Jahr 2006 eine Strategie vor, die er mit dem Begriff der »Souveränitätssimulation« zusammenfasst. Den im Vortrag als Protagonisten im Mittelpunkt stehenden Designern kommt in dieser Strategie die Rolle zu, mit ihrer Arbeit dafür zu sorgen, dem Nutzer die Illusion zu geben, dass er alleiniger Herrscher über seine Dinge sei. Sloterdijk lässt keinen Zweifel darüber aufkommen, dass diese Gewissheit über Souveränität eine Illusion, und diese – als wäre es nicht schwierig genug – sehr instabil ist. Zum Vergleich verweist er auf Naturvölker, deren Lebensweisen aus unserer Sicht primitiv erscheinen, die jedoch für alle auftauchenden Situationen Handlungsanleitungen oder Rituale entwickelt haben und der Welt mit robusterer Sicherheit begegnen als wir es unter Einfluss unseres Halbwissens vermögen. Er empfiehlt ein Experiment: Wenn Sie möchten, dass es regnet, beginnen Sie einen Regentanz. Sie werden sehen, es funktioniert – man muss nur lange genug durchhalten.
Sloterdijks These über die Aufgaben des Designs hat sich in den mittlerweile vergangenen 18 Jahren vielfach bestätigt. Für die als UX-Design (UX = User Experience) bezeichnete und derzeit am schnellsten wachsende Spezialisierungsrichtung im Design taugte sie als allgemeingültige und sinngebende Aufgabenstellung. Allein die Gestaltung grafischer Interfaces, welche uns die Bedienung der bereits erwähnten Supercomputer in unseren Hosentaschen so aufbereiten, dass sie uns als spielerische Aufgabe erscheinen, rechtfertigt das wachsende Selbstbewusstsein der Branche. Auch sind die heute sicher nicht zu unrecht als Digital Natives bezeichneten jungen Generationen als exzessive Nutzer dieser Produkte zwar virtuose Anwender, selten jedoch in der Lage, auftretenden Problemen bis in den Keller der Programmierebene zu folgen. Auch sie sind auf die Übersetzung in eine intuitive Sprache angewiesen.
Die Anwendungen des Prinzips der Souveränitätssimulation beschränken sich längst nicht mehr auf die Arbeit der Designer, und die Beispiele dafür finden wir fast überall. Kein Motorrad der 200-PS-Klasse kommt heute ohne jene Assistenzsysteme auf den Markt, ohne die ein Teil der solventen, aber fahrtechnisch noch in der Experimentierphase befindlichen Kundschaft sich selbst oder anderen – dann oft unfreiwillig medienwirksam – Schaden zufügen würde.