Der Wächter über 20 Bugatti

Herr Utzeri, Sie sind in Wolfsburg geboren, Ihre Eltern kamen aus Italien. Zwei Welten, zwei Kulturen. Was hat Sie geprägt?

Ich bin tatsächlich mit zwei Herzen groß geworden: Zuhause die italienische Kultur, draußen und in der Schule die deutsche. Und in Wolfsburg wächst man unweigerlich mit Volkswagen auf. Autos begleiten dich von klein auf. Diese Mischung hat mich stark geprägt – Technikaffinität auf der einen Seite, Leidenschaft und Emotion auf der anderen.

Wann kam Bugatti in Ihr Leben?

Nach meinem Maschinenbaustudium in Hamburg bin ich zunächst bei Volkswagen im Versuchsbau gelandet. Parallel wuchs Piëchs Idee, Bugatti wiederzubeleben. In dieser Frühphase fehlte es an Strukturen, Werkstätten, Prozessen – vieles lief improvisiert. Man fragte mich, ob ich nach Italien gehen könnte, weil ich die Sprache sprach und die Lieferanten kannte. Dort habe ich mit Firmen wie Brembo oder ATR gearbeitet und ihnen geholfen, in die Welt von Volkswagen einzutauchen. Das waren meine ersten Schritte bei Bugatti. Am Ende sind daraus mehr als 20 Jahre in unterschiedlichen Funktionen geworden.

Und heute leiten Sie das Zeithaus der Autostadt. Wie kam es dazu?

Als Bugatti an Rimac verkauft wurde, blieben bei Bugatti Engineering in Wolfsburg über 50 Prototypen, Designmodelle und Einzelstücke zurück. Ich habe den Auftrag bekommen, mich um diese Fahrzeuge zu kümmern. Ein Teil wurde verkauft, aber 20 Wagen blieben im Besitz von Volkswagen. Sie sind jetzt Teil der Sammlung der Autostadt. Und weil ich die Historie kannte wie kaum ein anderer, lag es für die Geschäftsführung nahe, mir die Verantwortung für diese Sammlung und das gesamte Zeithaus zu übertragen.

Wie viele Bugatti-Fahrzeuge existieren eigentlich?

Vom Veyron wurden 450 Stück gebaut, vom Chiron 500. Also knapp 1.000 Serienfahrzeuge weltweit. Dazu kommen noch rund 50 bis 80 Entwicklungs- und Konzeptfahrzeuge. Manche davon stehen jetzt hier in Wolfsburg.

Das klingt fast nach einer Gralswächter-Rolle. Sehen Sie sich so?

(lacht) Es stimmt schon: Über zwei Jahrzehnte war ich eng mit Bugatti verbunden, kenne die Kunden, die Autos, die ganze Entstehungsgeschichte. Da liegt es nahe, dass man mich auch als Hüter dieser Fahrzeuge sieht. Aber mir geht es weniger ums Bewahren allein – mir geht es darum, die Geschichte zu erzählen.

Bugatti gilt als Synonym für den automobilen Mythos. Worin liegt dieses Besondere?

In der Verbindung von Vergangenheit und Gegenwart. Ettore Bugatti hat schon vor hundert Jahren Automobile geschaffen, die ihrer Zeit weit voraus waren. Die Typ-35-Rennwagen, über 2.000 Grand-Prix-Siege haben Motorsportgeschichte geschrieben. Und wenn man heute einen Veyron oder Chiron sieht, spürt man diese Aura sofort wieder: Es ist nicht nur ein Auto, sondern ein Mythos, der weiterlebt. Menschen nehmen dafür weite Reisen auf sich, investieren Zeit und Emotion, weil sie Teil dieser Geschichte sein wollen.

Ist Bugatti für Sie eher Auto oder eher Kunst?

Beides. Technisch betrachtet ist ein Bugatti eine Meisterleistung, aber die Schönheit der Formen, die Detailversessenheit, die Individualisierung – das hebt ihn über das rein Automobilhafte hinaus. Viele Kunden kaufen Bugatti nicht als Statussymbol, sondern als persönliches Kunstwerk. Sie nehmen sich Zeit, verbringen Tage im Atelier, um jedes Detail abzustimmen. Das ist ein sehr emotionaler Prozess.

Das Klischee sagt: Bugatti-Kunden sind nur sehr reiche Menschen. Ist Geld wirklich das einzige Kriterium?

Natürlich ist Geld die Voraussetzung. Aber das ist nicht die ganze Wahrheit. Es gibt Sammler, die Exklusivität suchen. Und es gibt Fahrer, die die Faszination auf der Straße erleben wollen. Für beide ist der Bugatti nicht einfach eine Trophäe. Es ist ein Stück Leidenschaft. Viele dieser Menschen müssen niemandem mehr etwas beweisen.

Sie selbst – haben Sie ein Lieblingsmodell?

Ja, den Veyron Super Sport. Für mich ist er das ultimative Auto: technisch brillant, designstark, mit dieser eleganten Heckpartie. Ich würde ihn in blauem Sichtcarbon mit polierten Aluminium-Akzenten nehmen. Sportlich, aber zugleich unheimlich edel.

Wie viel Volkswagen steckt in Bugatti?

Eine ganze Menge – aber nicht sichtbar. Kein Emblem, keine Gleichteile, sondern Know-how. Die meisten Ingenieure kamen aus dem Konzern, die Motoridee von Piëch. Jedes Teil wurde für Bugatti neu entwickelt. Das war Handarbeit auf höchstem Niveau, getragen von Volkswagen Ingenieuren.

Sie haben es bereits erwähnt, Bugatti hat in den 1920ern über 2.000 Grand-Prix-Siege gefeiert. Wie erleben Sie die Strahlkraft der Marke heute?

Ungebrochen. Es gibt weltweit Bugatti-Fanclubs, die Begeisterung reicht über Generationen. Das habe ich zuletzt in Molsheim beim 20-Jahr-Jubiläum des Veyron erlebt. Menschen reisen um die halbe Welt, nur um mit ihrem Auto dabei zu sein. Diese Leidenschaft macht Bugatti einzigartig und zeigt: Der Mythos ist lebendig.

Bugatti ist kein Auto der Masse. Wie passt das in den Konzern, der auch den Golf baut?

Genau das war Piëchs Idee: vom Motorrad bis zum Bugatti, vom Transporter bis zum Lkw – die ganze Bandbreite der Mobilität abzubilden. Und Bugatti sollte dabei der Leuchtturm sein.

Welche Rolle spielt die Autostadt insgesamt – über das Zeithaus hinaus?

Die Autostadt ist für mich ein einzigartiger Ort, an dem Mobilität erlebbar wird. Hier geht es nicht nur um die Präsentation von Fahrzeugen, sondern um Kultur, Geschichte und Zukunftsthemen. Familien, Technikfans, Designliebhaber – sie alle finden hier einen Zugang zur Welt des Automobils. Die Architektur, die Pavillons, die Ausstellungen: Das ist ein Gesamterlebnis. Wir wollen Emotionen wecken und gleichzeitig Wissen vermitteln. Für mich ist die Autostadt damit weit mehr als ein Schaufenster von Volkswagen – sie ist ein kultureller Ort, der Brücken zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft schlägt.

Ein Thema haben wir im Zusammenhang mit Bugatti etwas unterschlagen: Lassen Sie uns zum Schluss also über Luxus sprechen. Was bedeutet Luxus für Sie persönlich?

Luxus hat für mich wenig mit Geld oder Autos zu tun. Luxus ist Zeit – mit meiner Familie, mit Freunden, beim Sport, beim Kochen, beim Lesen. Luxus ist, meinen Sohn zur Schule zu fahren oder mit meiner Tochter über ihr Studium zu sprechen. Autos sind schön, keine Frage. Aber wenn es meinen Kindern nicht gut geht, dann tut mir das weh. Und wenn es ihnen gut geht, dann ist das mein größter Luxus.